Von Jon Sindreu

CHICAGO (Dow Jones)-Auch wenn die 737-Max-Krise weitgehend überwunden ist, könnte Boeing Schwierigkeiten haben, an Höhe zu gewinnen.

Die Aktien des angeschlagenen US-Flugzeugherstellers sind seit dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie stark gefallen, aber kaum mehr als die des Hauptkonkurrenten Airbus. Das deutet darauf hin, dass die Investoren Boeing abgesehen von dem Flugverbot für die Max, dessen Auswirkungen aber bereits vor dem Ausbruch der Pandemie in den Aktienkurs eingepreist waren, nicht viel stärker im Nachteil sehen. Es ist eine riskante Annahme.

Die Ergebnisse des vierten Quartals zeigen, warum die Kluft zwischen den beiden Konzernen tatsächlich größer werden könnte - trotz der Wiederaufnahme des Max-Betriebs. Die Maschine wurde am Mittwoch von den europäischen Aufsichtsbehörden für den Flugbetrieb freigegeben.

Der Flugzeughersteller mit Sitz in Chicago hat am Mittwoch seinen bisher größten Jahresverlust gemeldet. Die Anleger hatten zwar im Großen und Ganzen einen Verlust erwartet, waren aber dennoch enttäuscht von der endgültigen Bilanz: Der Verlust für das vierte Quartal 2020 belief sich auf 8,4 Milliarden US-Dollar, Analysten hatten lediglich mit etwa 500 Millionen Dollar gerechnet.

Dies war zum Teil die Folge einer Belastung von 6,5 Milliarden Dollar vor Steuern, die Boeing für das 777X-Großraumflugzeugprogramm in die Bücher nahm. Der Konzern hat nun die erste Auslieferung bis ins Jahr 2023 hinausgeschoben - damit kommt das Modell drei Jahre später auf den Markt als geplant. Die 777X ist von der Pandemie betroffen, aber auch von der Annahme, dass die Regulierungsbehörden nach dem Max-Fiasko viel länger brauchen werden, um neue Flugzeugmodelle zu zertifizieren.


   Boeing muss noch viele Probleme beheben 

Gleichzeitig wurde der große Geldbringer unter den Langstreckenjets von Boeing, der 787 Dreamliner, von Qualitätsproblemen geplagt. Einige Maschinen wurden wegen Produktionsfehlern aus dem Verkehr gezogen. CEO David Calhoun sagte in einem Memo am Mittwoch, dass im Laufe des Quartals "umfassende Produktionsinspektionen" eingeleitet wurden, die die Auslieferungen verzögerten und die Einnahmen aus der kommerziellen Luftfahrt beeinträchtigten.

Und natürlich muss Boeing immer noch die Hunderte von Max-Maschinen loswerden, die auf Halde stehen. Bislang wurden etwa 40 von ihnen ausgeliefert, was nicht schlecht ist. Dennoch wird es eine Herausforderung sein, sie zu verkaufen, ohne die Verkaufspreise zu sehr zu drücken. Die Wiederaufnahme der Produktion sei mit zusätzlichen Kosten verbunden, so Boeing.

Optimisten unter den Anlegern könnten die jüngsten Ergebnisse des Konzerns als einen Versuch interpretieren, alle schlechten Nachrichten auf einmal loszuwerden, da klar war, dass 2020 das schlechteste Jahr aller Zeiten für die Luftfahrtindustrie sein würde.

"Sie könnten sagen, dass dies das Quartal war, das die Aktie brauchte, um von hier an eine klarere Geschichte einer beständigeren Verbesserung zu erzählen", sagte Robert Spingarn, Analyst der Credit Suisse, nach der Zahlenvorlage gegenüber Kunden.

Aber es ist schwer zu glauben, dass die Probleme, die sich in den vergangenen zehn Jahren bei dem Konzern eingeschlichen haben, für Calhoun leicht zu beheben sein werden. So sagte der CEO, dass die 787-Auslieferungen, die im Oktober gestoppt wurden, erst gegen Ende dieses Quartals wieder aufgenommen würden. Boeings größter Vorteil gegenüber seinem europäischen Rivalen in der zivilen Luftfahrt war früher die Breite seines Angebots. Doch zurzeit haben alle seine wichtigen Produkte in irgendeiner Weise mit Problemen zu kämpfen, und Boeing hat kaum eine Chance, mit Airbus im vielversprechenden Markt für Mittelstreckenflüge gleichzuziehen.

Trotz eines Kurssturzes der Boeing-Aktie am Mittwoch haben sich die Märkte noch nicht ganz mit der hässlichen Realität abgefunden. Selbst wenn die Max wieder fliegt und die Impfkampagnen an Fahrt gewinnen, könnte es sein, dass Boeing der erhoffte Befreiungsschlag nicht gelingt.

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January 28, 2021 03:02 ET (08:02 GMT)