Von Aaron Back und Telis Demos

NEW YORK (Dow Jones)-US-amerikanische Anleger halten sich mit China-Investments wohl so sehr zurück wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern sind angespannt, und die Aussicht auf größere Auswirkungen der Schwierigkeiten des Immobilienriesen China Evergrande lastet auf dem Markt.

Doch gleichzeitig ist dies möglicherweise ein historischer Moment für US-Finanzunternehmen in China. Als Teil des Handelsabkommens der Trump-Regierung hat China zugestimmt, die Beschränkungen für ausländisches Eigentum bei Finanzdienstleistungen zu lockern. Nun stehen US-Banken wie Goldman Sachs, JP Morgan und Morgan Stanley in den Startlöchern, ihre früheren Joint Ventures in der Wertpapierbranche mit chinesischen Partnern ganz oder teilweise zu übernehmen. Diese Schritte werden ihnen einen besseren Zugang zu Chinas Festland-Investmentbanking- und Handelsmärkten verschaffen. In der Zwischenzeit dürften große US-Vermögensverwalter wie Blackrock so willkommen geheißen werden wie nie zuvor, um bei der Verwaltung eines riesigen Vermögensbestandes zu helfen.


   China hat riesiges Potenzial 

Die Anleger mögen sich mit dem Gedanken anfreunden, dass die Wall Street in China auf der Rangliste der Top-Investoren immer höhere Stufen erklimmt, so wie sie es auf den Märkten der ganzen Welt getan hat. Zugleich bietet die Tatsache, dass große und etablierte Unternehmen wie Blackrock einen so riesigen und wenig durchdrungenen Markt für sich erschließen können, eine besonders verlockende Perspektive. Aber im chinesischen Finanzwesen ist nichts einfach. Das Land weist eine so einzigartige Reihe von politischen, regulatorischen und anderen Herausforderungen auf, dass es Jahrzehnte dauern wird, bis das volle Potenzial ausgeschöpft ist, wenn es überhaupt je möglich ist.

Das Investmentbanking scheint die offensichtlichste Chance zu sein. In der Vergangenheit dienten Joint Ventures mit lokalen Maklern vor allem dazu, Kunden in das grenzüberschreitende Geschäft einzubinden. Darunter fiel zum Beispiel die Beratung chinesischer Unternehmen bei Börsengängen und Übernahmen im Ausland.


   US-Konzerne haben in China Nachholbedarf 

Dieses einst lukrative Geschäft ist jedoch erheblich geschrumpft, was zum großen Teil den zunehmenden Spannungen zwischen China und der westlichen Welt geschuldet ist. Laut Dealogic erreichte das Volumen der Börsengänge chinesischer Unternehmen im Ausland im Jahr 2014 mit 53 Milliarden US-Dollar einen Höchststand, darunter der bahnbrechende Börsengang von Alibaba in New York. In diesem Jahr beläuft sich das Volumen bisher auf rund 36 Milliarden Dollar. Chinesische Fusionen und Übernahmen ins Ausland erreichten 2016 mit 201 Milliarden Dollar ihren Höhepunkt. Dagegen sind es in diesem Jahr bisher nur 25 Milliarden Dollar. Kein Wunder also, dass der chinesische Inlandsmarkt für die globalen Banken wieder attraktiv ist. Das Volumen der inländischen Börsengänge hat stetig zugenommen und wird in diesem Jahr voraussichtlich den höchsten Stand seit 2010 erreichen.

Seit 2010 hat es jedoch kein Gemeinschaftsunternehmen einer US-amerikanischen Bank mehr unter die Top 10 der inländischen Börsengänge von Dealogic geschafft, obwohl die in Zürich ansässige UBS einige Male in dieser Liste mitmischte. Die Dominanz chinesischer Maklerunternehmen hat mehrere Gründe, die sich nicht ändern werden, nur da ausländische Banken plötzlich vollständige Eigentümer sind. Viele Transaktionen entsprechen möglicherweise nicht den Zeichnungsstandards der US-Banken. Hinter den Kulissen lotsen die Behörden möglicherweise auch heimische Unternehmen zu chinesischen Maklerfirmen, die sie zu lokalen Champions aufbauen wollen.


   Peking sagt Zockern den Kampf an 

Die Chancen im Bereich der Vermögensverwaltung sehen besser aus. Chinesische Haushalte brauchen mehr Möglichkeiten zum Sparen als Wohnungen und undurchsichtige Vermögensverwaltungsprodukte, bei denen das Geld oft wieder in die Immobilienentwicklung oder andere überschuldete Sektoren fließt. Dies hat Peking veranlasst, ausländische Vermögensverwalter aufzufordern, Finanzprodukte wie Investmentfonds zu entwickeln. Die Regierung hofft, dass dies dazu beiträgt, den Investmentsektor in China zu professionalisieren. So soll die zockerähnliche Mentalität, die bei vielen Einzelhandelsmaklern vorherrscht, ein Ende finden und letztlich die Qualität der chinesischen Kapitalmärkte verbessert werden.

China hat im April die Beschränkungen für ausländische Beteiligungen an Fondsverwaltungsgesellschaften aufgehoben. Aber inländische Partnerschaften einer anderen Art könnten für US-Firmen immer noch der Schlüssel sein, um den Markt zu erobern. Heimische Geschäftsbanken sind nämlich ein wichtiger Kanal, um Kunden zu erreichen, so dass ausländische Banken anfangs gut damit fahren dürften, sie als Vertriebspartner zu nutzen. Verschiedene Unternehmen experimentieren mit unterschiedlichen Ansätzen.


   Goldman begeistert von Chancen in China 

Im Mai kündigte Goldman Sachs eine Partnerschaft mit der ICBC an, einer staatlichen Bank, die Chinas größter Kreditgeber ist. Die Chinesen wollen dem US-Finanzkonzern helfen, Anlageprodukte über ihr großes Einzelhandelsnetz zu vertreiben. Die Pressemitteilung von Goldman gibt einen Eindruck von der Begeisterung des Unternehmens über das Ausmaß der Gelegenheit, indem sie feststellt, dass "das investierbare Vermögen der chinesischen Haushalte bis 2030 rund 70 Billionen Dollar übersteigen wird".

Blackrock verfolgt einen zweigleisigen Ansatz, indem es in einem Joint Venture mit heimischen Partnern arbeitet und sein eigenes, vollständig in seinem Besitz befindliches Geschäft ausbaut. Blackrock hält derweil noch einen Anteil von 50,1 Prozent an einem Vermögensverwaltungs-Joint-Venture mit dem Staatsfonds Temasek aus Singapur und der China Construction Bank, einem weiteren der größten staatlichen Kreditinstitute Chinas. Gleichzeitig legt die hundertprozentige Tochtergesellschaft in Schanghai ihre eigenen Fonds auf. Ihr erster Investmentfonds hat 1 Milliarde Dollar eingesammelt, wie das Unternehmen vergangenen Monat mitteilte.


   Träume vom schnellverdienten Geld in China können rasant platzen 

Möglicherweise setzt China zu viel Vertrauen in die Fähigkeit ausländischer Unternehmen, seine Binnenmärkte zu verbessern. Eine stärkere Beteiligung von Investmentbanken und Vermögensverwaltern kann sicherlich dazu beitragen, Chinas Märkte zu glätten, aber das reicht nicht aus. Grundlegende Fragen wie Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und die Dominanz des staatlichen Sektors müssen ebenfalls angepackt werden.

Auslandsbanken sollten als Makler für ausländische Investoren dienen, die in die Märkte des Landes einsteigen wollen. Die meisten globalen Investoren sind im Verhältnis zur Größe der chinesischen Wirtschaft zu wenig in China investiert. Doch die seit langem erwartete Umschichtung globaler Vermögenswerte in China wird nicht automatisch erfolgen. Sie wird von einer kontinuierlichen Verbesserung der Märkte abhängen. Während China mit der historischen Öffnung seines Finanzdienstleistungssektors fortschreitet, lässt sich viel Geld verdienen, aber Manager und Investoren dürfen sich nicht von Träumen vom chinesischen Reichtum blenden lassen. Die Kapitalmärkte des Landes werden für Ausländer noch lange Zeit ein undurchsichtiger und gefährlicher Ort bleiben, an dem sie spekulieren können.

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November 02, 2021 05:53 ET (09:53 GMT)