(Neu: Marktreaktion, Aussagen aus der Telefonkonferenz)

ESSEN (dpa-AFX) - Der schwächelnde Industrie- und Stahlkonzern Thyssenkrupp hat im dritten Quartal im Zuge der Corona-Pandemie tiefrote Zahlen geschrieben. Auftragseingang und Umsatz brachen ein. Der wochenlange Stillstand und der Einbruch der Automobilkonjunktur belastete vor allem das Stahlgeschäft. Für das Ende September auslaufenden Geschäftsjahr zeichnet sich ein Milliardenverlust ab. Denn im stark von der Automobilindustrie abhängigen Stahlgeschäft gibt es kaum Anzeichen auf Besserung.

Die Aktie des seit längerer Zeit kriselnden Unternehmens brach am Donnerstagmorgen um bis zu 13 Prozent ein. Thyssenkrupp habe ein weiteres "fürchterliches" Quartal vorgelegt, hieß es von einem Händler. Negativer Höhepunkt sei der Ausblick, insbesondere der erwartete Mittelabfluss in Milliardenhöhe.

Ohne das inzwischen verkaufte Aufzuggeschäft verzeichnete Thyssenkrupp in den Monaten April bis Juni einen Nettoverlust von 819 Millionen Euro, teilte das Unternehmen in Essen mit. Im Vorjahr lag das Minus bei 229 Millionen Euro. Der bereinigte operative Verlust (Ebit) betrug im fortgeführten Geschäft 679 Millionen Euro und verschlechterte sich im Vergleich zu den minus 13 Millionen Euro im Vorjahresquartal deutlich. Finanzchef Klaus Keysberg hatte zuvor einen Verlust von bis zu einer Milliarde Euro nicht ausgeschlossen.

"Wir haben hart gearbeitet, um die Kosten kontrolliert zu halten und die Liquidität zu sichern. Damit sind wir im dritten Quartal insgesamt etwas besser durch die Krise gekommen als anfangs befürchtet", kommentierte Konzernchefin Martina Merz die Zahlen.

Wegen des coronabedingten Einbruchs der Wirtschaft mussten jedoch alle Bereiche von Thyssenkrupp erheblich Federn lassen. Insbesondere galt das für das Automobilzulieferer-Geschäft sowie die Stahlsparte und den Handel, die hohe Verluste verbuchten. Der Umsatz im fortgeführten Geschäft von Thyssenkrupp sackte daher um gut ein Drittel auf knapp 5,8 Milliarden Euro ab. Der Auftragseingang brach noch stärker um 42 Prozent auf rund 4,8 Milliarden Euro ein.

Für das vierte Quartal sieht Thyssenkrupp in nahezu allen Bereichen eine stabile Entwicklung oder eine leichte Verbesserung im Vergleich zum Vorquartal, nachdem die Kunden die Produktion wiederaufnehmen. Eine Ausnahme machte das Management jedoch beim Stahlgeschäft, das nicht erst seit der Corona-Krise unter strukturellen Problemen wie Überkapazitäten und Preisdruck leidet. Die Auslastung der Stahlwerke sei zuletzt wieder gestiegen und liege derzeit bei mehr als 60 Prozent, sagte Keysberg in einer Telefonkonferenz. Tausende Mitarbeiter befänden sich weiter in Kurzarbeit.

Das Management rechnet daher im Schlussquartal mit einem bereinigten Ebit-Verlust der fortgeführten Aktivitäten im mittleren bis höheren dreistelligen Millionen-Euro-Bereich. Für das Gesamtjahr sei daher ein bereinigter operativer Fehlbetrag zwischen 1,7 und 1,9 Milliarden Euro wahrscheinlich. Dabei erwartet Thyssenkrupp allein für den Stahlbereich einen Verlust von bis zu gut einer Milliarde Euro.

Durch den vor kurzem abgeschlossenen Verkauf des Aufzuggeschäfts für gut 17 Milliarden Euro sollen Jahresüberschuss und der freie Mittelzufluss "signifikant positiv" ausfallen. Der freie Cashflow im fortgeführten Geschäft dürfte jedoch nochmals erheblich belastet werden. Denn Thyssenkrupp will mit den Erlösen aus dem Verkauf unter anderem auch die Schwankungen des Umlaufvermögens reduzieren, sprich die Verkäufe von Forderungen zum Jahresende reduzieren und Finanzverbindlichkeiten bei Fälligkeit zurückzahlen. Das werde den Cashflow mit 2,5 Milliarden Euro belasten, erläuterte Keysberg. Thyssenkrupp erwartet daher im fortgeführten Geschäft im Gesamtjahr einen Mittelabfluss von 5 bis 6 Milliarden Euro.

Mit dem Verkauf des Aufzuggeschäfts will der chronisch klamme Konzern nicht nur die Bilanz entlasten. Neben der Senkung der Verbindlichkeiten will Thyssenkrupp auch selektiv in seine Geschäfte investieren sowie die laufende Restrukturierung finanzieren. Das Unternehmen befindet sich in einem groß angelegten Umbau. So erwägt Thyssenkrupp einen zweiten Anlauf für eine Fusion seines Stahlgeschäfts. Aber auch die Hereinnahme eines Partners, eine eigene Übernahme oder auch die Fortführung auf der jetzigen Basis sind Optionen, über die gerade diskutiert wird. Ergebnisse gibt es noch nicht. Man befinde sich in Gesprächen, weiter seien alle Optionen offen, so Keysberg.

Auch in den Industriegeschäften soll kaum ein Stein auf dem anderen bleiben. Hier hinkt Thyssenkrupp der Konkurrenz hinterher, die meisten Sparten haben nicht die kritische Größe, um wettbewerbsfähig zu sein. Die geplante Neuausrichtung würde den Konzern, der im vergangenen Geschäftsjahr auf einen Umsatz von rund 42 Milliarden Euro kam, noch weiter schrumpfen lassen. So will sich Thyssenkrupp von Bereichen mit einem Umsatz von insgesamt 6 Milliarden Euro trennen. Auch für den Marineschiffbau sucht das Unternehmen nach einer Lösung und hält eine Fusion mit einem Konkurrenten für denkbar.

Zum Kern der neuen Thyssenkrupp sollen weiterhin der Werkstoffhandel und die Industriekomponenten gehören. Das Automobilzuliefergeschäft soll zumindest teilweise in der Gruppe weitergeführt werden. Hier jedoch hält der Konzern ebenfalls Allianzen und Entwicklungspartnerschaften für notwendig./nas/he/zb