Berlin (Reuters) - Ob Bau, Handel oder Industrie - Materialengpässe und deutlich höhere Beschaffungskosten belasten inzwischen die große Mehrheit der deutschen Unternehmen.

83 Prozent klagen über Preisanstiege oder Lieferprobleme bei Rohstoffen, Vorprodukten und Waren. Das geht aus einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) unter fast 3000 Unternehmen aller Branchen und Größenklassen hervor. "Rohstoffmangel und Lieferkettenprobleme treffen die deutsche Wirtschaft in ihrer ganzen Breite", sagte DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier. "Die aktuelle Entwicklung kann den wirtschaftlichen Erholungsprozess nach der Krise merklich erschweren." Möglicherweise werde das Vorkrisenniveau beim Bruttoinlandsprodukt daher erst Mitte 2022 erreicht.

Als Folge der Lieferengpässe haben derzeit 88 Prozent der Unternehmen mit höheren Einkaufspreisen für ihre Produkte und Dienstleistungen zu kämpfen. Hier trifft die anziehende Nachfrage in vielen Weltregionen auf unzureichende Produktions- und Transportkapazitäten - etwa aufgrund von Corona-Beschränkungen an wichtigen Häfen in China. Zwei Drittel sehen sich daher gezwungen, gestiegene Kosten an ihre Kunden weiterzugeben. Das könnten am Ende die Verbraucher zu spüren bekommen.

Die Inflationsrate liegt derzeit mit 3,8 Prozent so hoch wie seit 1993 nicht mehr und könnte sich Ökonomen zufolge in den kommenden Monaten Richtung fünf Prozent bewegen. "Die Preise nicht weiterzureichen geht auf die Margen", sagte Treier. Dies könnten sich viele Betriebe nicht leisten, da die Corona-Krise bereits 2020 ihre Spuren in den Bilanzen hinterlassen habe und ansonsten Zukunftsinvestitionen gefährdet wären.

BESSERUNG ERST 2022 ERWARTET

Nur knapp jedes fünfte Unternehmen rechnet mit einer Besserung der Lage bis zum Jahreswechsel. 53 Prozent erwarten erst für 2022 eine Aufhellung. Andere sind noch pessimistischer: "Aus der Bottleneck-Situation sind wir wohl erst Mitte 2023 raus", sagte etwa der Chef des Autozulieferers Hella, Rolf Breidenbach, zum Chipmangel. "Wir werden noch das ganze nächste Jahr über damit zu tun haben." Hella baut Autoscheinwerfer und Fahrzeug-Elektronik. "Wir sehen hier aktuell sehr große Unsicherheiten", fasste Treier zusammen. Etwa jedes zwölfte Unternehmen erwäge inzwischen eine Produktionsverlagerung an neue Standorte.

In vielen Industriezweigen sind nahezu alle Betriebe von den Problemen betroffen. Mehr als 90 Prozent der Unternehmen aus der Gummi- und Kunststoffindustrie, Metallindustrie und Chemieindustrie berichten davon. In der Fahrzeugindustrie sind es 92 Prozent, in der Elektrotechnik 85 Prozent, im Baugewerbe 94 Prozent. Aber auch im Einzelhandel (83 Prozent) sowie bei Transport- und Logistikbetrieben (67 Prozent) wird geklagt. Nur vereinzelt berichten Firmen demnach, dass sie zwar Lieferschwierigkeiten hatten, diese aber nicht mehr aktuell seien.

VW MUSS BREMSEN

Der Mangel an Halbleitern bremst etwa bei Volkswagen die Pkw-Produktion aus. Das VW-Stammwerk Wolfsburg könne nach der Sommerpause in der kommenden Woche nur eingeschränkt wieder starten, erklärte ein VW-Sprecher. "Die anhaltend eingeschränkte Liefersituation bei Halbleitern sorgt weiter herstellerübergreifend für erhebliche Störungen in der weltweiten Fahrzeug-Produktion."[FWN2PQ0EC] Der japanische Konkurrent Toyota kürzt zufolge wegen des Engpasses bei Halbleitern sein Produktionsziel für September um 40 Prozent, wie die Zeitung "Nikkei" berichtete.

58 Prozent der Unternehmen in der deutschen Fahrzeugindustrie planen Produktionsstopps oder eine Drosselung. "Das ist die Ursache für unsere konjunkturellen Sorgen", sagte Treier. "Denn die Fahrzeugindustrie hat so ein großes Gewicht in Deutschland."

Zu spüren bekommen die Firmen die Engpässe und steigenden Preise insbesondere bei direkten Vorprodukten, etwa Stahl, Aluminium, Kupfer und Holz. Verpackungen sind durch alle Branchen hinweg ebenfalls Mangelware, ebenso Elektronikkomponenten. In der Fahrzeugindustrie fehlen massiv Halbleiter. Der Einzelhandel berichtet etwa von Engpässen bei Textilien.

Als Gründe dafür nennen die Unternehmen vor allem eine gestiegene Nachfrage sowie - angesichts der unterschiedlichen Entwicklung des Pandemiegeschehens in der Welt - zu geringe Produktionskapazitäten (70 Prozent) und Transportprobleme (53 Prozent). Bei Letzteren machen sich unter anderem der aktuelle Containermangel (76 Prozent) sowie fehlende Frachtkapazitäten bei Schiffen (74 Prozent), Straßen und Schienen (27 Prozent) sowie Flugzeugen (24 Prozent) bemerkbar.

So treffe die jüngste Teilschließung des chinesischen Hafens in Ningbo die deutsche Wirtschaft in einer Zeit, in der sie ohnehin schon erhebliche Lieferschwierigkeiten bewältigen müsse, so der der DIHK. Jedes zweite Unternehmen nennt zudem Produktionsausfälle bei Zulieferern als Grund für den Rohstoffmangel. Deutsche Unternehmen berichten vereinzelt davon, dass die Hochwasserkatastrophe zu den Problemen beiträgt.