Von Sam Schechner

BRÜSSEL (Dow Jones)--Uber, Deliveroo und andere Online-Lieferdienste könnten nach einem Vorschlag der Europäischen Union gezwungen werden, ihren Fahrern und Zustellern mehr Leistungen zu gewähren und sie gegebenenfalls fest anzustellen. Der am Donnerstag vorgestellte EU-Gesetzesentwurf stuft viele der Jobs bei Online-Lieferplattformen als (abhängige) Beschäftigung ein. Bislang haben die meisten dieser Unternehmen diese als selbstständige Auftragnehmer betrachtet.

Der Gesetzesentwurf geht davon aus, dass viele der Unternehmen in der sogenannten Gig-Economy tatsächlich Arbeitnehmer beschäftigen, je nachdem, wie viel Kontrolle die Unternehmen darüber ausüben, wie diese ihre Arbeit verrichten.

Die Änderung würde für diese Unternehmen gelten, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen - zum Beispiel die Vergütung für Aufgaben festlegen und eine Bewertung der Leistung der Arbeitnehmer vornehmen. Die Einstufung als Angestellten-Verhältnis können die Online-Plattformen jedoch vor nationalen Gerichten anfechten.


   Millionen Gig-Beschäftigte würden zu Arbeitnehmern 

EU-Vertreter schätzen, dass etwa 5 Millionen der 28 Millionen Menschen, die in der EU für Online-Lieferdienste tätig sind, nach den neuen Regeln neu eingestuft werden würden. Viele von ihnen sind Arbeitskräfte, die persönliche Dienstleistungen erbringen, wie Fahrer und Zusteller, so die EU.

"Da immer mehr Arbeitsplätze durch digitale Arbeitsplattformen geschaffen werden, müssen wir menschenwürdige Arbeitsbedingungen für all diejenigen sicherstellen, die ihr Einkommen aus dieser Arbeit beziehen", sagte Margrethe Vestager, die Vizepräsidentin der EU-Kommission.


   Gesetzliche Umsetzung dauert 

Der Vorschlag dürfte nun mehrere Jahre debattiert werden, bevor er zur Anwendung kommen kann. Um Gesetzeskraft zu erlangen, muss er vom EU-Parlament und den Mitgliedstaaten gebilligt werden. Danach hätte jeder der 27 EU-Staaten zwei Jahre Zeit, ihn auf nationaler Ebene anzupassen und umzusetzen.

Aber schon vor der Verabschiedung könnte sich der Entwurf darauf auswirken, ob und wie Beschäftigten in der Gig-Economy mehr Rechte zugestanden werden sollen. In diesem Geschäftsmodell werden über Apps einzelne Aufgaben an einen Pool von Personen verteilt. Diese werden von den App-Betreibern bisher aber nicht als angestellte Mitarbeiter behandelt.


   Plattformen warnen vor Jobverlusten 

Unternehmen wie Uber und Deliveroo sowie die estnische Mitfahr- und Essenslieferplattform Bolt Technology OU lehnen den Vorschlag in seiner jetzigen Form ab, da die Neueinstufung zu Arbeitsplatzverlusten in ihren Branchen führen könnte.

Bolt argumentiert, das Unternehmen werde wahrscheinlich gezwungen, Vollzeitfahrer in einem "Modell der maximalen Auslastung" einzustellen - was bedeutet, dass es weniger Fahrer für längere Arbeitszeiten beschäftigen würde.

Deliveroo hat sich Anfang des Jahres aus dem spanischen Markt zurückgezogen, unter anderem wegen der dortigen Vorschriften, die seine Fahrer neu klassifizieren würden. Deliveroo argumentiert, diese Änderung habe negative Folgen für die Fahrer selbst, die Verbraucher, die Restaurants und die Wirtschaft im Allgemeinen.

Uber kündigte an, Standards für die Entlohnung schaffen zu wollen, dass die Fahrer aber unabhängig Beschäftigte bleiben sollen - was diese laut dem Unternehmen schätzen. Ein Sprecher sagte, Uber sei "besorgt, dass der Vorschlag der Kommission den gegenteiligen Effekt haben könnte - nämlich Tausende von Arbeitsplätzen zu gefährden".

Uber hatte im März mitgeteilt, seinen Fahrern in Großbritannien den Arbeitnehmer-Status zu gewähren, der ihnen das Recht auf bestimmte Leistungen einräumt. Zuvor hatte Uber einen entsprechenden Rechtsstreit vor dem britischen Obersten Gerichtshof verloren.

Nach dem EU-Gesetzesentwurf würden Unternehmen als Arbeitgeber gelten, wenn sie zwei von fünf Kriterien erfüllen, darunter Einschränkungen für Dritte zu arbeiten, Aufgaben nicht oder nur begrenzt ablehnen zu können oder die Festlegung von Lohnhöhen oder Höchstgebühren.


   Auch Begrenzung der automatisierten Kontrolle vorgesehen 

Der Gesetzentwurf würde allen, die für die so genannten "Plattform-Unternehmen" arbeiten, auch neue Rechte auf Informationen und Kontrolle über die automatisierte Verwaltung ihrer Tätigkeit einräumen - unabhängig davon, ob sie als Selbstständige oder Arbeitnehmer eingestuft werden. Hintergrund ist, dass immer mehr Unternehmen automatisierte Systeme einsetzen, um ihre Mitarbeiter zu überwachen.

Der Gesetzesentwurf ist der jüngste Vorstoß der EU, die Regulierung großer Technologieunternehmen auszuweiten. Ähnliche Vorstöße sind unter anderem in Großbritannien, den USA, Australien, Kanada zu beobachten.

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DJG/uxd/smh

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December 09, 2021 07:40 ET (12:40 GMT)