Von Stephen Wilmot

LONDON (Dow Jones)--Alle Vorhersagen über die Zukunft der Autoindustrie für das Jahr 2030 bestätigen derzeit nur eines: Wie ungewiss deren Zukunft tatsächlich ist. Am Dienstag gab es von Volkswagen ein Update zur langfristigen Konzernstrategie, die unter dem Motto "New Auto" steht. Vorstandschef Herbert Diess und sein Team legten dar, wie sich das Fahrzeuggeschäft in diesem Jahrzehnt verändern wird und wie das Unternehmen seine Position als Marktführer in Europa und China nutzen wird, um von der Entwicklung zu profitieren.

Volkswagen erwartet demnach, dass Elektroautos nach und nach die bisher üblichen Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor ersetzen werden. Daran ist an und für sich nichts Neues. Aber der Marktführer in Europa und China bereitet sich auch auf ein explosives Wachstum bei den "softwarebasierten Umsätzen" vor. In seiner Präsentation deutete VW an, dass dieses Geschäft bis 2030 fast so groß werden könnte wie das mit dem Verkauf von Elektrofahrzeugen.

Und sofort drängt sich die Parallele zu Smartphone-Markt auf: Apple verzeichnet einen Großteil seines Wachstums mit dem Verkauf von Dienstleistungen über sein iPhone und nicht aus den Geräten-Verkäufen selbst. Wenn Autos erst mit dem Internet verbunden sind und darüber auch aktualisiert werden können, dürften sich fahrzeuginterne Dienste wahrscheinlich ausbreiten. Sollten Autos jemals autonom fahren und Fahrer zu Passagieren werden, wenn sogar das derzeit dominierende Modell des Autobesitzes für die Nutzung hinfällig würde, dann könnte die Nachfrage nach Dienstleistungen tatsächlich durch die Decke schießen.

Volkswagen ist nicht allein damit, sich auf ein Dienstleistungsgeschäft vorzubereiten. Bei Ford wurde auf dem Strategietag im Mai viel über Möglichkeiten gesprochen, die eine "Always-on"-Beziehung zu Kunden bringen könnte. Auch General Motors plant noch in diesem Jahr eine Investorenveranstaltung zu dem Thema.


 VW scheint bereit für hohe Investitionen 

Und trotzdem geht Volkswagen mit seinem Ansatz noch einen Schritt weiter als die meisten anderen. Das betrifft vor allem die Aussicht auf gemeinschaftlich genutzte, fahrerlose Fahrzeuge. Das Unternehmen scheint echtes Geld in die Waagschale werfen zu wollen, um solche Pläne auch zu unterfüttern. Im Juni hieß es, man erwäge einen Anteil an Europcar zu kaufen. Der Autovermieter hat inklusive Schulden einen Marktwert von etwa 5,9 Milliarden US-Dollar.

Das Risiko besteht darin, dass Volkswagen Kapital in Bereichen verbrennt, die intern zwar als "strategisch" gelten, aber notwendiger Weise noch auf einer eher unscharfen Vorstellung von der automobilen Zukunft beruhen. Schon früher, wenn Autobauer auf das Thema Mobilität setzten, gingen bei Anlegern rote Warnlampen an. Ein berühmt-berüchtigtes Beispiel lieferte Jacques Nasser, der von 1999 bis 2001 erfolglos Ford leitete. Einige Autohersteller haben sich erst in letzter Zeit wieder von Flottengeschäften entfernt. So trennte sich GM 2020 von seiner Carsharing-Marke Maven, während Ford laut einem Bloomberg-Bericht vom Mai erwägt, die E-Scooter-Marke Spin abzustoßen.

Weil die Menschen im Laufe der Pandemie wieder verstärkt auf ein eigenes Auto setzten, lohnte sich das Geschäftsmodell des Autoverkaufs für die Unternehmen zuletzt wieder ganz besonders. Volkswagen teilte am Freitag mit, dass der Betriebsgewinn für das erste Halbjahr 2021 voraussichtlich bei etwa elf Milliarden Euro liegen wird. Das ist mehr als im gesamten Jahr 2020 verdient wurde.

Typisch für die Autobranche ist jedoch, dass sie ihre Entscheidungen bereits Jahre im Voraus treffen muss. Das ist einer der Gründe, warum sie bei der Kapitalallokation im Nachhinein häufig so schlecht dasteht. Autobauer haben in der Vergangenheit teilweise Geld in alle Richtungen verstreut und anschließend beobachtet, was davon sinnvoll war.

Volkswagen betonte am Dienstag wiederholt, dass die enorme Größe des Unternehmens einen Vorteil beim Wandel der Branche bieten werde. Die Größe könnte auch einer der Gründe sein, warum sich VW früher als andere Hersteller zum Handeln gezwungen sieht. Die Anleger können nur hoffen, dass es in die richtige Richtung geht.

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July 14, 2021 02:59 ET (06:59 GMT)