Von William Boston

BERLIN (Dow Jones)--VW verliert in China - seinem größten Einzelmarkt - Marktanteile an einheimische Autohersteller. Den neuen Chef des Wolfsburger Automobilkonzerns stellt das vor eine seiner schwierigsten Herausforderungen. Trotz einiger Verkaufszuwächse in den vergangenen Monaten rechnet VW damit, dass sein Marktanteil in China in diesem Jahr bei etwa 16 Prozent liegt. Das ist ein Rückgang um fast ein Fünftel gegenüber 2019, als der Marktanteil bei etwa 20 Prozent lag, wie aus Daten der Verbraucherforschungsgruppe Jato Dynamics hervorgeht. VW hat den größten Marktanteil aller ausländischen Autohersteller in China. Und der schrumpfende Anteil ist nicht die einzige Herausforderung für Oliver Blume, der im September sein Amt angetreten hat. Der Autohersteller sieht sich mit steigenden Energiekosten, anhaltenden Problemen in der Lieferkette und Verzögerungen bei der Lieferung von firmeneigener Software konfrontiert. Diese haben den Zeitplan des Unternehmens für die Modellfreigabe durcheinandergebracht. Doch China ist seit Jahren die Cashcow von VW, weshalb die Erosion des Marktanteils ein besonderes Problem bedeutet.

Auf das Land entfielen im vergangenen Jahr 37 Prozent der Neuwagenverkäufe des Unternehmens und 15 Prozent des Vorsteuergewinns aus dem Pkw-Geschäft. VW betreibt 40 Produktionsstätten in China, entweder allein oder über Joint Ventures. Laut einer Studie des Forschungsinstituts Rhodium Group war VW im vergangenen Jahr der größte ausländische Investor in China. "China ist für Volkswagen von entscheidender Bedeutung und gleichzeitig das größte Risiko für das Unternehmen", berichtet Noah Barkin, Europa-China-Experte bei Rhodium. Ein Teil des China-Problems von VW liegt daran, dass das Unternehmen gegenüber Tesla an Boden verliert. Viele chinesische Elektroauto-Kunden halten die Autos von Tesla für ausgereifter und attraktiver als die von VW, so eine Konsumentenstudie von Bernstein Research. Der Gesamtmarktanteil von Tesla in China beträgt laut Jato Dynamics nur 2,2 Prozent. Tesla ist jedoch ein wichtiger Akteur im Segment der Elektroautos, in dem es laut Ev-volumes.com, einer globalen Forschungsgruppe, im Jahr 2021 11,6 Prozent der neuen Elektroautos in China verkauft hat. Der Anteil von VW an den Verkäufen von reinen Elektrofahrzeugen liegt laut Ev-volumes.com im gleichen Zeitraum bei nur 3,5 Prozent.


   Buffetts BYD macht VW das Leben schwer 

Ein weiterer Herausforderer ist BYD - ein chinesischer Autohersteller, zu dessen Investoren Warren Buffett gehört. Nach Angaben von Jato Dynamics hat sich der Anteil des Unternehmens am chinesischen Automarkt in diesem Jahr auf 7,2 Prozent mehr als verdoppelt. Die Zugewinne verdeutlichen, dass viele chinesische Verbraucher, die einst ein deutsches oder US-amerikanisches Auto besitzen wollten, sich nun einheimischen Marken zuwenden, die mitunter eine fortschrittlichere Technologie bieten. So wurde die schwächelnde Stellung von VW in China erstmals deutlich, als Audi vor einigen Jahren seine Position als führende Luxusmarke in China verlor. Vergangenes Jahr fiel die Markteinführung von VWs Flaggschiff, dem vollelektrischen SUV ID.4, in China schwach aus. Einige Analysten meinten, das Auto sei zu groß für die überfüllten Autobahnen und engen Straßen Chinas.

VW hat auch Schwierigkeiten, jüngere chinesische Verbraucher zu überzeugen, die sich besonders von rein batteriebetriebenen Elektrofahrzeugen mit vielen technischen Spielereien angezogen fühlen. Solche Extras sind fortschrittliche Sprachsteuerungssysteme, selbstständiges Einparken und Fahrerassistenzsysteme. Chinesische Konkurrenten bieten diese an, und viele einheimische Verbraucher sagen, dass die Technologie in den Massenmarkt-EV-Modellen von VW nicht so gut ist, wie es in Verbraucherumfragen heißt. Nach den enttäuschenden ID.4-Verkaufszahlen hat der frühere CEO Herbert Diess das Management von VWs China-Organisation umstrukturiert. Im August übernahm Ralf Brandstätter, zuvor Chef der Marke VW, die Aufgabe, China auf Vordermann zu bringen.


   VW muss Transformation beschleunigen 

Nach einem langsamen Jahresbeginn sprang der Absatz von VW in China im dritten Quartal um 26 Prozent nach oben. Die Verkäufe des ID.4 und anderer Elektromodelle wie des Q4 e-tron von Audi ziehen ebenfalls an, liegen aber immer noch hinter denen der Konkurrenten zurück. VW konkurriere mit neuen, reinen Elektro-Anbietern in der Branche, die junge Leute ansprechen, die zukünftigen Autofahrer des Landes, erklärte Blume bei einer Telefonkonferenz im vergangenen Monat mit Analysten. Das bedeute, dass VW die Transformation beschleunigen müsse, wenn es um Software, autonomes Fahren, aber auch um die Reichweite und die Ladezeiten der Autos gehe. Um die Software-Lücke zu chinesischen Konkurrenten und Tesla zu schließen, investierte die VW-Softwareeinheit Cariad 1 Milliarde Dollar in Horizon Robotics. Letztere ist ein chinesisches Technologieunternehmen. Derweil gab VW weitere 1,3 Milliarden Euro für einen 60-prozentigen Anteil an ihrem Joint Venture aus.

Leistungsstarke Computerchips enthalten heute den Code, der die Systeme eines Autos steuert. Dabei dreht es sich um die Bremsen, den Antrieb und das Batteriemanagement von Elektrofahrzeugen. Solche komplexen Systeme steuern auch die Funktionen selbstfahrender Autos wie Spurwechsel, selbständiges Einparken und komplexere Aufgaben wie die Integration von Sensordaten. Diese können es einem Auto ermöglichen, sich selbständig im Verkehr zurechtzufinden. Horizon Robotics wird diese Technologie für den chinesischen Markt herstellen, so VW. Der Konzern müsse unterschiedliche Ökosysteme für Kunden in der westlichen und der östlichen Welt anbieten, meint Blume. Und wenn man sich China anschaue, sei die Erwartungshaltung, vor allem der jüngeren Kunden, eine ganz andere. Sie seien sehr technologieorientiert.

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November 25, 2022 04:10 ET (09:10 GMT)