BERLIN (dpa-AFX) - Wenn man mal warten muss, schön und gut - das kennt man bei der Bestellung von größeren Anschaffungen wie Autos, Möbeln oder ausgefallenen Artikeln im Online-Handel. Aber dass auch mal nichts oder nur sehr spät geliefert wird, ist in der vernetzten Konsumgesellschaft fast schon ein Ausnahmezustand. Zurzeit erleben viele Menschen und Betriebe, wie sich die Versorgungskrise immer mehr ausweitet. Mehrere Faktoren spielen dabei eine Rolle: der globale Frachtverkehr, Produktionsprobleme bei verschiedenen Gütern, teurere Rohstoffe und nicht zuletzt fehlende Handwerker und Fachkräfte. 2021

- ein Jahr des Mangels. Und ein schnelles Ende der Engpässe ist nicht

in Sicht.

- Längere Fristen, höhere Preise: Wohl mit am deutlichsten macht sich der große Mangel im Alltag derzeit beim Gang ins Geschäft oder beim Klicken durch den Internet-Shop bemerkbar. Quer durch fast alle Bereiche spüren Verbraucher ausgeweitete Lieferzeiten, wenn die gewünschte Ware - wie so oft - nicht auf Lager ist. Viele Hersteller und Händler haben Preiserhöhungen angekündigt, teils schon umgesetzt.

Es zwickt an allen Ecken und Enden. Fahrradproduzenten und -verkäufer berichten von zu wenigen Schaltungen, Lenkungen und E-Bike-Teilen. Dem Elektronik- und Computerhandel macht der Chipmangel zu schaffen. Laut dem niedersächsischen Handelsverbandschef Mark Alexander Krack wird es beispielsweise auch bei Sportartikeln enger: "Das sind alles Produkte, die vom stockenden Containerverkehr betroffen sind." Kunden sollten sich daher frühzeitig über die Verfügbarkeiten informieren. Im Textilhandel kommen manche Modekollektionen ebenso verspätet an.

Die Produktauswahl werde auch lange nach Weihnachten eingeschränkt sein, fasste Klaus Wohlrabe vom Ifo-Institut das Ergebnis einer Umfrage unter 1000 Einzelhändlern zusammen. 60 Prozent klagten über mangelnden Nachschub. Der Handelsverband Deutschland beurteilt die Lage auf Basis einer eigenen Befragung ähnlich. Die Mehrheit der Mitglieder gab an, zum Jahresendspurt 2021 mehr oder weniger große Umsatzeinbußen wegen der Lieferschwierigkeiten zu erwarten.

- Baumärkte und Baustoffe: Hier sieht es kaum anders aus. "Viele Lieferanten kündigen flächendeckend Verträge mit Handelspartnern und avisieren massive Preiserhöhungen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Heimwerken, Bauen und Garten, Peter Wüst. Vereinzelt würden Abgabemengen rationiert. In der Möbelindustrie bremsen fehlende Spanplatten und Komponenten die Hersteller aus, denn auch Holz und verschiedene Metalle sind knapp. Wüst erwartet "noch einige Zeit deutlich spürbare Auswirkungen" für die Märkte.

Die Material-Ebbe belastet auch die Bauwirtschaft selbst. Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands, erklärte, dies führe "zu enormen Preissteigerungen, insbesondere bei Bauholz, Betonstahl und Kunststoffen. In laufenden Verträgen müssen die Baufirmen diese selbst schultern." Schmale Erträge würden dadurch weiter verringert, für kleine Firmen könne das existenzbedrohend sein. Die Unternehmen seien gezwungen, höhere Materialpreise bei neuen Verträgen "zumindest teilweise an die Kunden weiterzugeben". So mancher Häuslebauer oder renovierende Heimwerker kennt das aus eigener Erfahrung.

- Handwerker und Fachkräfte: Teilweise hilft aber selbst der tiefere Griff ins Portemonnaie nicht weiter - wenn nämlich schlicht kein Fachpersonal da ist. Im Handwerk kommt der Mangel damit direkt bei den Kunden an, neben dem Preisauftrieb wachsen die Wartezeiten. Aufträge könnten oft nicht zum vereinbarten Zeitpunkt fertiggestellt werden, teilte der Zentralverband des Deutschen Handwerks mit.

Trotz dicker Bestellbücher fielen Gewinne geringer aus als geplant. "Das Geld fehlt für Investitionen in Zukunftsfeldern wie der Digitalisierung oder der Transformation zu einem nachhaltigeren Geschäftsmodell", heißt es. Auch klingt Kritik am Sparkurs mancher öffentlicher Auftraggeber durch. Diese seien "bei bestehenden Vertragsverhältnissen nur sehr selten zu Preisanpassungen bereit".

Und das Handwerk ist beileibe nicht der einzige Sektor, in dem zu wenige Fachkräfte zunehmend zu einem gesamtwirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Risiko werden. Pflegepersonal, Techniker, Kraftfahrer, Vollzeitkräfte im Gastgewerbe - vielerorts fehlen Leute.

- Autos in der Chipkrise: Auf dem für die deutsche Wirtschaft so wichtigen Automarkt bleibt die Situation paradox. Nach dem Ende der großen Corona-Verunsicherung 2020 trauen sich Verbraucher und Firmen wieder den Kauf eines neuen Wagens zu - oft aber fehlt das Angebot. Die Nachfrage staut sich, auch hier verlängern sich Wartezeiten. Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe sprach jüngst von drei bis sechs Monaten Minimum für viele Modelle, einzelne Hersteller sind mit den Lieferdaten sogar schon in der zweiten Jahreshälfte 2022.

Grund ist vor allem die schleppende Elektronik-Versorgung. Einen Teil der Schuld müssen sich die Autobauer selbst zuschreiben: Am Höhepunkt der Absatzflaute stornierten sie Verträge mit Chipproduzenten, bei denen dann noch eigene Probleme hinzukamen. Nun müssen sie ihre Produktion drosseln. Nebenbei gibt es Halden halb fertiger Fahrzeuge.

So werden Autos nicht nur insgesamt knapper, sondern zudem vorhandene Halbleiterbestände für gewinnträchtige Modelle reserviert. Rabatte für Neuwagen sinken, die Gebrauchtwagen-Preise steigen. VW, wo die Auslieferungen im Oktober um ein Drittel unter dem Vorjahr lagen, nimmt an, dass sich die Chipkrise wenigstens bis Mitte 2022 zieht. Zugleich kommt man kaum hinterher. "Momentan haben wir ein bisschen Probleme mit der Verfügbarkeit", so VW-Chef Herbert Diess kürzlich.

- Übrige Industrie, Maschinenbau, Chemie: Weitere Herzstücke der deutschen Industrie wie Maschinenbau und Chemie können sich dem großen Mangel ebenfalls nicht entziehen. Die Ifo-Forscher berichteten Anfang November zwar von hier und da leicht nachlassenden Problemen. "Von einer Entspannung kann aber nicht gesprochen werden", schränkte Wirtschaftswissenschaftler Klaus Wohlrabe ein. Unternehmen kalkulierten im Schnitt mit Schwierigkeiten über mindestens acht Folgemonate, die Chemiebranche über zehn Monate. Etwas weniger düster seien die Erwartungen der Nahrungsmittelbranche.

- Rohstoffe: Teurer werden auch metallische Grundressourcen wie Magnesium oder Aluminium, die in zahllosen Leichtbau-, Elektro- sowie Vorprodukten stecken und darüber hinaus in der chemischen Industrie benötigt werden. Vor allem bei Magnesium kam es zuletzt zu heftigen Preissprüngen, bedingt durch Beschränkungen im mächtigen Förderland China. Die Deutsche Rohstoffagentur, die die Bundesregierung zur Versorgung mit strategisch wichtigen Basismaterialien berät, meldete in weiteren Kategorien eine ähnlich brenzlige Liefersituation.

- Enge Transportkapazitäten und der weite Weg aus China: Jenseits von Material und Arbeitskräften ist der globale Lieferverkehr selbst zum sprichwörtlichen Flaschenhals geworden. Für die lange Zeit darbende Schifffahrt mag der Frachtboom eine gute Sache sein - für Kunden, die nach gerissenen Corona-Lieferketten stabile Transportwege brauchen, bedeuten die knappen Container neuen Druck. Am südchinesischen Meer mussten im Sommer Terminals wegen weiterer Corona-Fälle vorübergehend schließen. Vor einigen großen Häfen gab es Staus, während anderswo Schiffe fehlten - mit der Folge gefährlicher Verzögerungen für die weltweite "Just-in-time"-Produktion und Belieferung der Verbraucher./jap/DP/stk