BRAUNSCHWEIG/WOLFSBURG (dpa-AFX) - Der Vorwurf wiegt schwer: Sind Betriebsräte zum Schaden von Volkswagen zu hoch bezahlt worden? Das Landgericht Braunschweig hat nun eine entsprechende Anklage gegen drei ehemalige und einen aktuellen VW-Personalmanager wegen dieses Verdachts zugelassen.

Im Raum steht ein Schaden von gut 5 Millionen Euro für den Volkswagen-Konzern - so sieht es jedenfalls die Anklage der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Abgesehen davon, dass die Summe dem weltgrößten Autobauer nicht besonders wehtun dürfte, schwingt ein viel schwerwiegender Verdacht mit: Hat jemand versucht, sich die Gewogenheit der bei VW traditionell so wichtigen Arbeitnehmervertreter mit zu hohen Gehältern zu erschleichen?

Das hätte gerade in Wolfsburg mehr als nur ein Geschmäckle, wo die Verflechtung von Unternehmen und Betriebsrat vergleichsweise eng ist. Auch in höheren Management-Positionen finden sich bei VW viele Betriebsratsmitglieder.

Unter den Beschuldigten ist auch der ehemalige Konzernpersonalvorstand Karlheinz Blessing. Sein Anwalt Hanns Feigen kündigte an, auf Freispruch zu plädieren. "Die Anklagevorwürfe sind in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht unbegründet", sagte Feigen auf Anfrage.

Der rechtliche Vorwurf lautet auf Untreue, auch in besonders schwerer Form. Die Angeklagten sollen zu hohe Gehälter und Boni an fünf Mitglieder des Betriebsrats genehmigt haben. Dadurch seien dem Konzern zwischen Mai 2011 und Mai 2016 mehr als fünf Millionen Euro Schaden entstanden, so die Staatsanwaltschaft. Demnach soll sich allein die "ungerechtfertigte Vergütung" an Betriebsratschef Bernd Osterloh auf 3,125 Millionen Euro belaufen haben.

Gegen Osterloh läuft ein gesondertes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Beihilfe zur Untreue. In seinem Fall wurden die Untersuchungen vom Hauptverfahren gegen die vier Manager abgetrennt - es geht zudem nicht um einen möglichen eigenen Vorteil. Der Betriebsrat verwies am Dienstag auf frühere Aussagen von Ende 2019. Demnach war Osterloh Akteneinsicht gegeben worden, befragt wurde er aber nicht. Zur Rolle Osterlohs hatten die Staatsanwälte erklärt: "Die im Raum stehenden Vorwürfe sind von untergeordneter Bedeutung und wiegen rechtlich weniger schwer."

Vom Konzern hieß es am Dienstag: "Die Volkswagen AG hält an ihrer Rechtsauffassung fest, dass im Zusammenhang mit der Festlegung der Vergütung einzelner Betriebsratsmitglieder kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten festgestellt werden kann." Die Anklage richte sich zudem nicht gegen Volkswagen, sondern gegen Einzelpersonen.

Im Verfahren wird es auch um die Frage gehen: Wie viel darf und soll ein mächtiger Betriebsrat verdienen? Sollte er bezahlt werden, als hätte er einen Karriereweg im Management eingeschlagen und wäre dort ähnlich erfolgreich gewesen?

Osterloh galt vor der Berufung von Blessing selbst lange als Top-Kandidat für den Posten des Konzern-Personalvorstands. Doch in den Wirren des Dieselskandals winkte er ab: "Ein Wechsel auf den Posten des Personalvorstands kommt für mich nicht infrage", sagte er damals im November 2015. In einer solchen Situation der Unsicherheit wolle er die Kolleginnen und Kollegen nicht allein lassen. Hätte Osterloh also im anderen Fall nicht auch verdienen können wie ein ordentlicher Konzernvorstand?

Übertarifliche Bezüge von hohen Betriebsratsmitgliedern sind in vielen Firmen nicht präzise festgelegt. Grundsätzliche Regelungen des Betriebsverfassungsgesetzes zur Vergütung gelten auch deshalb als reformbedürftig - so stellt sich die Frage, welche Gehaltskorridore für Leitungsaufgaben genau gelten sollen. Es geht also um Rahmenbedingungen, die auch manche Juristen und Gewerkschafter für teils veraltet halten und welche die Gehaltsfestsetzung erschweren.

Nach Interpretation der Strafverfolger wurde bei VW aber gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstoßen - man habe "bewusst eine unzutreffende Vergleichsgruppe zugrundegelegt". "Die Vergleichsgruppen seien dabei so gewählt worden, dass ein höheres Gehalt gerechtfertigt erschien, obgleich die Angeschuldigten gewusst hätten, dass dies tatsächlich nicht der Fall war." Offenbar sei nur die Zugehörigkeit zum Betriebsrat dafür maßgeblich gewesen, vermuten die Ermittler.

Das Thema beschäftigt den Konzern und die niedersächsische Justiz bereits seit 2016 - Volkswagen dachte, es auch mit Hilfe eines Schiedsverfahrens eigentlich schon zu den Akten legen zu können. Als Reaktion auf den Anfangsverdacht und entsprechende Durchsuchungen von Steuerfahndern hatte Volkswagen Ende 2017 die Gehälter führender Belegschaftsvertreter vorerst gedeckelt.

Im Mai vergangenen Jahres war bekanntgeworden, dass VW Osterloh und weitere Betriebsräte nach der vorübergehenden Gehaltskürzung wieder übertariflich bezahlt. Arbeitnehmervertreter und Unternehmen hatten vor dem Arbeitsgericht Braunschweig einen entsprechenden Vergleich geschlossen. Betriebsratsmitglieder hatten geklagt, weil sie von Vergütungskürzungen betroffen waren. Nun wird das Thema erneut aufgerollt, mit ersten Verhandlungen ist dem Vernehmen nach im November oder Dezember zu rechnen./men/DP/fba