- von Christian Krämer

Berlin (Reuters) - Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat eine Mitschuld für den milliardenschweren Wirecard-Skandal weit von sich gewiesen.

Gegen das frühere Top-Management des Zahlungsabwicklers werde ermittelt. "In dem Unternehmen wurde offenbar mit hoher krimineller Energie gehandelt", sagte der SPD-Kanzlerkandidat am Donnerstag im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu dem Finanzskandal. Der Wirtschaftsprüfer EY habe elf Jahre lang nicht die Fehler in den Büchern gefunden und die Bilanzen stets testiert. EY sei zu lange Glauben geschenkt worden. "Die Verantwortung für diesen hochkriminell angelegten Betrug trägt nicht die Bundesregierung."

Scholz ergänzte, es seien die richtigen Konsequenzen gezogen worden. Die Finanzaufsichtsbehörde BaFin werde neu aufgestellt. Außerdem sollten die Wirtschaftsprüfer per Gesetz enger an die Leine genommen werden. "All das habe ich zügig auf den Weg gebracht." Ziel sei es, Vertrauen wieder aufzubauen.

Der frühere Dax-Konzern war im Juni 2020 nach Bekanntwerden milliardenschwerer Luftbuchungen in die Pleite gerutscht. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bilanzfälschung, Betrug, Marktmanipulation und Geldwäsche. Mehrere Ex-Vorstände von Wirecard sitzen in Untersuchungshaft oder sind auf der Flucht. Der BaFin und damit auch dem Finanzministerium werden weitgehendes Versagen in dem Fall vorgeworfen.

"NICHTS GESEHEN, NICHTS GEHÖRT, NICHTS GEWUSST"

Im U-Ausschuss des Bundestags werden diese Woche als vorläufiger Höhepunkt die hochrangigsten Zeugen befragt - nach Scholz folgt am Freitag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Bis Juni soll dann ein Abschlussbericht die Versäumnisse der Regierung und ihrer Behörden in dem Fall auflisten. Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl ist das Wirecard-Sondergremium zunehmend parteipolitisch geprägt, mit teils hitzigen Wortgefechten auch innerhalb der großen Koalition.

"Die politische Verantwortung trägt Olaf Scholz", sagte CDU-Finanzpolitiker Matthias Hauer. CSU-Politiker Hans Michelbach warf Scholz vor der Befragung vor, dem Ausschuss lange wichtige Akten vorenthalten zu haben. Scholz müsse persönlich Verantwortung übernehmen. "Ich erwarte zumindest eine klare Entschuldigung." Zu erwarten sei aber die "Neu-Inszenierung des Stücks: nichts gesehen, nichts gehört, nichts gewusst".

Am Mittwoch hatte der Untersuchungsausschuss schon Finanz-Staatssekretär Jörg Kukies, einen der engsten Scholz-Mitarbeiter, neun Stunden lang bis tief in die Nacht befragt. Scholz sagte, er vertraue seinen Staatssekretären, die er sehr sorgfältig ausgewählt habe. "Das sind gute Leute." Kukies - ein früherer Top-Investmentbanker bei Goldman Sachs - hatte gesagt, in dem Fall seien alle getäuscht worden, die Regierung ziehe aber die richtigen Schlüsse.

"SCHOLZ HAT NICHT DIE NOTBREMSE GEZOGEN"

"Mit P&R, Wirecard und zuletzt Greensill fallen drei Milliarden-Skandale in dieser Legislatur in den direkten Zuständigkeitsbereich von Olaf Scholz - eine Bilanz des Grauens", sagte Danyal Bayaz von den Grünen. Bei Wirecard sei vor allem das sogenannte Leerverkaufsverbot fatal gewesen. Damit hatte die BaFin im Februar 2019 - als es bereits Hinweise in Medien und von Investoren auf Ungereimtheiten bei Wirecard gab - alle Wetten auf Kursverluste mit Wirecard-Aktien untersagt. Die Behörde habe sich damit auf die Seite von Kriminellen gestellt, so Bayaz. CDU-Politiker Hauer sagte, Scholz sei darüber früh informiert worden: "Er hat nicht die Notbremse gezogen."

Laut Scholz muss sich das Finanzministerium aber nichts vorwerfen. Allerdings gebe es mit dem Wissen von heute natürlich erhebliche Zweifel, ob die BaFin richtig gehandelt habe. Das müsse man kritisch bewerten. Die Neuaufstellung der BaFin macht Scholz zufolge mit dem geplanten personellen Schnitt mehr Sinn. Er hatte Ende Januar - also ein halbes Jahr nach der Wirecard-Insolvenz - die alte BaFin-Spitze mit Präsident Felix Hufeld und Vizechefin Elisabeth Roegele vor die Tür gesetzt. Beobachtern zufolge hatte das Bekanntwerden von Insiderhandel mit Wirecard-Derivaten durch einen Mitarbeiter der BaFin-Wertpapieraufsicht das Fass zum Überlaufen gebracht. Neuer BaFin-Chef soll Mitte des Jahres Mark Branson werden. Er ist noch Chef der Schweizer Finanzmarktaufsicht Finma und gilt in der Finanzszene als sehr gute Wahl.

FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar sagte der Nachrichtenagentur Reuters, Scholz räume Fehler bei der BaFin ein, aber nicht in seinem direkten Umfeld. "Auf mich wirkt es wie eine durchgeplante Verteidigungsstrategie, bei der vor allem die Kanzlerkandidatur geschützt werden soll." Jens Zimmermann, der für die SPD im U-Ausschuss sitzt, sagte dagegen, Scholz könne kein konkretes Versäumnis vorgeworfen werden. Der Rest sei "haltloses Wahlkampfgetöse".