FRANKFURT (awp international) - Wirecard kommen auch am Freitag nach ihrem Kursabsturz am Vortag nicht zur Ruhe: Die Aktien des in einen Bilanzskandal verwickelten Dax-Konzerns verloren erneut drastisch an Wert, zuletzt um fast 50 Prozent auf etwas mehr als 20 Euro. Am Donnerstag waren die Papiere um knapp 62 Prozent abgestürzt, nachdem Wirecard wegen milliardenschwerer Unklarheiten in der Bilanz seinen Jahresabschluss erneut nicht vorlegt hatte. Das war der zweitgrösste Tagesverlust eines Dax-Titels in der fast 32-jährigen Geschichte des deutschen Leitindex.

Die Bilanzprüfer haben Zweifel an der Existenz von 1,9 Milliarden Euro, die auf Treuhandkonten in Asien verbucht worden sein sollen. "Müssen die 1,9 Milliarden abgeschrieben werden, ist der Nettogewinn der vergangenen zehn Jahre futsch", rechneten die Autoren des täglichen Bernecker-Börsenbriefs aus.

Wirecard-Vorstandschef Markus Braun sieht das Unternehmen derweil womöglich in einen Betrugsfall verstrickt. Allerdings gibt es schon länger Kritik an den Bilanzen des Konzerns, die auch eine Sonderprüfung durch die KPMG nicht hatte ausräumen können.

Analysten wie Mirko Maier von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hatten sich verwundert gezeigt über die erneute Verschiebung der Bilanzvorlage. Noch am 25. Mai habe Wirecard kommuniziert, dass für die Bilanz 2019 ein uneingeschränktes Testat erwartet werde, erklärte Maier in einer Studie. Insofern überrasche die Meldung mit den Täuschungsvorwürfen. Immer mehr Analysten äussern sich kritisch zu dem Zahlungsabwickler und raten zum Verkauf oder setzen die Bewertung erst einmal aus. Letzteres tat auch Maier.

Sollte der Zahlungsabwickler auch an diesem Freitag keinen testierten Abschluss präsentieren, droht die Kündigung von Krediten in Höhe von etwa zwei Milliarden Euro. Experten zweifeln allerdings, dass die Kreditgeber so einfach den Stecker ziehen würden, da dies auch Belastungen für andere Banken zur Folge haben könnte. "Werden die Kredite fällig gestellt, ist fraglich, ob die Liquidität reicht. Es geht schlicht ums Überleben", hiess es im Bernecker-Börsenbrief.

Derweil geht das Rätselraten um die Treuhandkonten in Asien weiter. Die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete am Freitag zunächst, dass zwei philippinische Banken auf Anfrage Kundenbeziehungen mit Wirecard verneinten, obwohl sie im Zusammenhang mit den Treuhandkonten genannt worden sein sollen.

Inzwischen erklärte die philippinische Bank BDO Unibank, bei der angeblich eines von zwei fraglichen Treuhandkonten für Wirecard geführt wurde, dass das deutsche Unternehmen kein Kunde sei: "Das Dokument, in dem die Existenz eines Wirecard-Kontos bei BDO behauptet wird, ist ein manipuliertes Dokument, das gefälschte Unterschriften von Bankangestellten trägt", hiess es in der Stellungnahme des in der Stadt Makati ansässigen südostasiatischen Geldhauses. "Der Fall ist an die Zentralbank der Philippinen berichtet worden."

Aktuelle Analystenkommentare zu Wirecard fallen verheerend aus. Am Freitag stufte die Investmentbank Oddo BHF die Papiere von "Neutral" auf "Reduce" ab und strich das Kursziel von 120 auf 35 Euro zusammen. Analyst Stephane Houri sprach von einer "grossen Katastrophe". Kurzfristig könnten - je nachdem wie die Banken sich verhalten - auch Liquiditätsprobleme nicht ausgeschlossen werden./mis/ajx/fba