Nach dem jüngsten Kursrutsch lässt der Verkaufsdruck an den europäischen Aktienmärkten nach.

Wegen der unklaren weiteren Aussichten scheuten hielten sich Investoren am Freitag mit Engagements zurück. Der Dax nach anfänglichen Gewinnen 0,2 Prozent im Minus bei 11.949,28 Punkten. Der EuroStoxx50 hielt sich knapp im Plus bei 3144,74 Zählern. Der US-Standardwerteindex Dow Jones gewann nach einem vorangegangenen fast siebenprozentigen Kursrutsch zum Wochenausklang 1,6 Prozent.

"Wir scheinen an einem Scheideweg angekommen zu sein", sagte Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com. Entweder gehe es bald erneut deutlich abwärts oder der Rücksetzer vom Donnerstag sei eine normale Pause vor der Wiederaufnahme des Aufwärtstrends. "Ich neige Ersterem zu."

Analyst Charalambos Pissouros vom Brokerhaus JFD setzt dagegen auf eine Fortsetzung der im Grunde seit März anhaltenden Rally. "So lange die Regierungen ihre Pandemie-Restriktionen lockern und die Konjunkturdaten signalisieren, dass das Schlimmste hinter uns liegt, betrachten wir den jüngsten Rücksetzer als Korrektur."

ANLEGER ZWISCHEN HOFFEN UND BANGEN

"Das Kräftemessen zwischen den von den Zentralbanken bereitgestellten Liquiditätsschüben und rezessiven Fundamentaldaten dürfte sich in den nächsten Monaten fortsetzen", prognostizierte Mark Dowding, Chef-Anleger des Vermögensverwalters BlueBay. Selbst bei einer schleppenden Konjunkturerholung verhinderten die billionenschweren Geldspritzen größere Kursrücksetzer der Börsen.

Einige Investoren gingen auf Nummer sicher und deckten sich mit Gold ein. Die "Antikrisen-Währung" verteuerte sich um 0,4 Prozent auf 1733,86 Dollar je Feinunze (31,1 Gramm). Der düstere Konjunkturausblick der US-Notenbank vom Mittwoch wirke noch nach, sagte Analyst Peter Fertig vom Analysehaus Quantitative Commodity Research. Außerdem herrsche weiterhin Furcht vor einer zweiten Corona-Infektionswelle.

Das Pfund Sterling geriet dagegen unter erneuten Verkaufsdruck und verbilligte sich auf 1,2537 Dollar und 1,1143 Euro. Da die Brexit-Verhandlungen nicht vorankämen und die britische Konjunktur derjenigen der übrigen Industriestaaten hinterherhinke, sei die Währung zu teuer, sagte Vaselios Gkionakis, Chef-Anlagestratege für Devisen beim Vermögensverwalter Lomard Odier.

KONJUNKTURABHÄNGIGE WERTE WIEDER IM AUFWIND

Am Aktienmarkt griffen Investoren bei Werten zu, die zuletzt unter die Räder gekommen waren. So gewannen die europäischen Indizes für die Reisebranche, die Banken und die Autobauer bis zu 1,2 Prozent. An der Wall Street stiegen die Aktien des Flugzeugbauers Boeing um fünf Prozent, die Titel der Bank of America und der Citigroup um bis zu vier Prozent, sowie die Papiere der Kreuzfahrt-Gesellschaft Norwegian um knapp zehn Prozent.

Unterdessen verbuchte Interparfums mit einem Kursplus von gut 13 Prozent den größten Tagesgewinn seit fast 18 Jahren. Der französische Konzern, der Parfums für Modemarken wie "Karl Lagerfeld" oder "Jimmy Choo" produziert, schloss eine Lizenzvereinbarung mit Moncler. Düfte unter dem Namen des italienischen Luxusjacken-Anbieters könnten sich zu einem Kassenschlager entwickeln, prognostizierten die Experten des Brokerhauses Midcap Partners. Moncler-Titel stiegen um rund ein Prozent.

Gefragt waren auch die Aktien von Adobe, die sich um mehr als sechs Prozent verteuerten und mit 411,72 Dollar ein Rekordhoch markierten. Dank eines boomenden Cloud-Geschäfts verbuchte der "Photoshop"-Anbieter einen überraschend hohen Quartalsgewinn. "Die Technologiebranche hat bisher die Richtung vorgegeben und wird dies wohl auch weiter tun", sagte Finanzmarkt-Experte Stuart Rumble vom Fondsanbieter Fidelity. Durch die Coronavirus-Krise verstärke sich der Trend, Geschäftsprozesse zu digitalisieren und über das Internet abzuwickeln.