PARIS/LONDON (awp international) - Ein möglicher Durchbruch im internationalen Handelsstreit und die weichende Brexit-Unsicherheit nach dem Wahlausgang in Grossbritannien haben die europäischen Börsen am Freitag beflügelt. Der Eurostoxx 50 kletterte mit in der Spitze 3762 Zählern auf den höchsten Stand seit April 2015. Zuletzt gewann der Leitindex der Eurozone knapp darunter 1,43 Prozent. In Frankreich legte der Cac 40 um 1,24 Prozent auf 5957,11 Punkte zu.

Nach dem klaren Sieg von Premierminister Boris Johnson und seinen konservativen Tories verbuchte der Londoner FTSE 100 einen Zuwachs von 1,44 Prozent auf 7377,58 Punkten - ungeachtet des starken britischen Pfund, das zum US-Dollar und zum Euro deutlich zulegte.Die lange Zeit lähmende Brexit-Unsicherheit weicht jetzt aus dem Markt. Johnson kann nun das Land am 31. Januar zu den Bedingungen seines Austrittsabkommens aus der Europäischen Union führen.

Den Startschuss für die Rally vor dem Wochenende gab aber die Meldung der Nachrichtenagentur Bloomberg, dass US-Präsident Donald Trump eine Einigung im Zollkonflikt mit China unterzeichnet haben soll. Damit dürfte die an diesem Sonntag fällige neue Welle von US-Zöllen auf chinesische Waren vermieden werden. China habe im Rahmen des Abkommens zugesichert, mehr US-Agrargüter zu kaufen, hiess es bei Bloomberg weiter. Allerdings seien die juristischen Dokumente noch nicht fertiggestellt.

"Der Phase-1-Handelsdeal zwischen den USA und China steht. Die Halbierung der bestehenden Zölle ist definitiv positiv für die Wirtschaft auf beiden Seiten des Pazifiks", kommentierte Marktexperte Thomas Altmann vom Vermögensverwalter QC Partners die jüngste Entwicklung. Das Gespenst neuer Zölle sei erst einmal vertrieben.

Allgemein wurden konjunkturabhängige Werte wie etwa der Autosektor von den guten Nachrichten angetrieben. Die Volkswagen-Vorzüge setzten sich mit einem Kurssprung von gut 4 Prozent an die Eurostoxx-Spitze.

Bester Sektor in Europa waren die Reise- und Freizeitwerte. Papiere von Fluggesellschaften legten hier deutlich zu, IAG gewannen 10 Prozent. Ihnen kam dabei auch eine frische Kaufempfehlung der HSBC zugute. Vergleichsweise schwach zeigten sich Werte aus dem Nahrungs- und Getränkemittelsektor.

Banken zeigten sich europaweit ebenfalls sehr fest, vor allem aber in Grossbritannien. Die nachlassende politische Unsicherheit nach der Wahl sei für die Institute positiv, kommentierten die Volkswirte von Goldman Sachs. Unter den Aktien der Kredithäuser in London schnellten die Titel der Royal Bank of Scotland um fast 11 Prozent hoch. Barclays gewannen fast 8 Prozent. Auch Baufirmen profitierten. So waren vorne im Leitindex Taylor Wimpey mit einem Plus von fast 15 Prozent.

Zu den wenigen Verlierern zählten im London Konsumgüter- sowie Nahrungs- und Getränkehersteller. In diesem Sektor seien Konzerne mit einem nicht unerheblichen Umsatzanteil in Grossbritannien, die mitunter in Pfund Sterling bilanzierten, schrieb Analyst Martin Deboo von Jefferies. Sie reagierten auf das stärkere Pfund entsprechend sensibel. Unilever , Reckitt Benckiser und Diageo gaben um bis zu 1 Prozent nach. Minus-Vorzeichen gab es ferner bei Aktien von Pharmaherstellern, die bei einem Brexit Medikamenten-Engpässe befürchten. Hikma Pharmaceuticals verloren knapp 2 Prozent, GlaxoSmithKline verloren 1,3 Prozent./ajx/mis