Der Verdächtige im tödlichen Schusswaffenangriff auf eine Abgeordnete des Bundesstaates Minnesota und der Verletzung eines weiteren Politikers hatte Verbindungen zu evangelikalen Missionswerken und gab an, Sicherheitsexperte mit Erfahrung im Gazastreifen und in Afrika zu sein, wie aus seinen Online-Postings und öffentlichen Aufzeichnungen hervorgeht.
Am Samstag lief eine landesweite Fahndung nach Vance Luther Boelter (57), den die Polizei als Verdächtigen im Mordfall an der demokratischen Abgeordneten Melissa Hortman aus Minnesota und ihrem Ehemann sowie im Zusammenhang mit den Schüssen auf Senator John Hoffman und dessen Ehefrau sucht.
Die Polizei teilte mit, der Verdächtige sei am Samstag früher mit einem hellen Cowboyhut, einem dunkel gefärbten langärmlichen Hemd oder Mantel sowie einer dunklen Tasche gesehen worden. Das FBI setzte eine Belohnung von bis zu 50.000 US-Dollar für Hinweise aus, die zu seiner Festnahme führen.
David Carlson (59) berichtete gegenüber Reuters, dass er seit etwas mehr als einem Jahr mit Boelter ein Haus in Minneapolis teile und ihn zuletzt am Freitagabend gesehen habe. Gegen 6 Uhr morgens am Samstag erhielt er dann eine SMS von Boelter.
„Er schrieb, dass er vielleicht bald tot sei“, sagte Carlson, der daraufhin die Polizei informierte.
Carlson, der Boelter seit der vierten Klasse kennt, sagte, Boelter habe für ein Zentrum zur Augenspenden gearbeitet und habe im Haus gewohnt, weil es nah an seinem Arbeitsplatz lag. Carlson fühlt sich von Boelter verraten und ist erschüttert über die Opfer: „Seine Familie muss das jetzt durchmachen.“
Laut staatlichen Aufzeichnungen wurde Boelter 2016 in das Workforce Development Board des Gouverneurs berufen. Das Gremium hat laut Website die Aufgabe, den Gouverneur zum Arbeitsmarktsystem von Minnesota zu beraten.
Politische Wut?
Auf die Frage, ob Boelter die Politiker kannte, sagte Drew Evans, Leiter des Minnesota Bureau of Criminal Apprehension: „Wir prüfen das noch.“
„Es gibt sicherlich einige Überschneidungen bei öffentlichen Sitzungen, das kann ich sagen, zwischen Senator Hoffman und der Person. Aber wir wissen nicht, wie die Beziehung war oder ob sie sich wirklich kannten“, sagte er vor Reportern.
Boelter gab an, keiner politischen Partei anzugehören. In einem LinkedIn-Post vor sechs Jahren rief er die Amerikaner auf zu wählen und den Wahlprozess zu schätzen: „Wenn Sie an das Gebet glauben, halten Sie bitte die Vereinigten Staaten in Ihren Gebeten.“
Carlson sagte, Boelter habe Trump gewählt, sei Christ und lehne Abtreibung ab, aber das Thema sei längere Zeit kein Gespräch gewesen: „Er war in Bezug auf Politik nicht wirklich wütend.“
In sozialen Netzwerken, öffentlichen Aufzeichnungen und Websites, die Reuters einsehen konnte, beschrieb sich Boelter als christlichen Prediger, Sicherheitsexperten mit Erfahrung im Nahen Osten und Afrika sowie als ehemaligen Mitarbeiter von Lebensmittelunternehmen.
Boelter gab an, Vorstandsvorsitzender einer Organisation namens Red Lion Group mit Sitz in der Demokratischen Republik Kongo zu sein. Zusammen mit seiner Frau Jennifer betrieb er zudem einen Sicherheitsdienst namens Praetorian Guard Security Services LLC; laut Firmenunterlagen ist sie als Geschäftsführerin eingetragen.
Die Firmenwebsite gibt an, ausschließlich bewaffnete Sicherheitsdienste anzubieten. Boelter schrieb, er sei an Sicherheitslagen in Osteuropa, Afrika, Nordamerika und dem Nahen Osten beteiligt gewesen, darunter Westjordanland, Südlibanon und Gazastreifen. Diese Angaben konnten zunächst nicht unabhängig bestätigt werden.
Die Polizei habe Kenntnis von Berichten, wonach Boelter ein Sicherheitsunternehmen besitze, sagte Evans.
Auf Arbeitssuche
Vor einem Monat schrieb Boelter auf LinkedIn, er suche eine neue Anstellung: „Hallo zusammen! Ich möchte gerne wieder in die US-Lebensmittelbranche einsteigen und bin für Stellen in Texas, Minnesota, Florida und im Großraum Washington DC offen.“
Aus Steuerunterlagen von Non-Profit-Organisationen geht hervor, dass Boelter und seine Frau eine christliche Missionsorganisation namens Revoformation leiteten. Die aktuellste Steuererklärung von 2010 führt Boelter als Präsidenten auf.
In einer archivierten Version der Revoformation-Website aus dem Jahr 2011 schrieb Boelter, er sei 1993 zum Prediger ordiniert worden und im kleinen Ort Sleepy Eye, etwa 160 Kilometer südwestlich von Minneapolis, aufgewachsen.
In seiner Biografie auf der Seite behauptete Boelter, Reisen in „gewalttätige Gebiete im Gazastreifen und Westjordanland, wo Selbstmordanschläge stattfanden“, unternommen zu haben.
„Er suchte den Kontakt zu militanten Islamisten, um das Evangelium zu verkünden und ihnen zu sagen, dass Gewalt nicht die Lösung sei“, heißt es dort. Boelter gab an, an der St. Cloud State University, der inzwischen geschlossenen Cardinal Stritch University und am Christ for the Nations Institute, einem Bibelkolleg in Dallas, studiert zu haben.
Nachdem der Verdächtige am Samstag auf die Polizei geschossen hatte, ließ er ein Fahrzeug zurück, in dem die Beamten ein ,,Manifest" und eine Liste weiterer Abgeordneter und Amtsträger fanden, wie die Ermittler mitteilten.
Evans sagte, die Ermittler prüften weiterhin, was das Motiv für die Schießereien gewesen sein könnte: „Es wäre zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht, aus diesen Schriften eindeutig auf das Motiv zu schließen.“
Der Gouverneur von Minnesota, Tim Walz, sagte, die Tat sehe nach einem politisch motivierten Attentat aus.