FRANKFURT (dpa-AFX) - Vor nunmehr zwölf Jahren brockte die Lehman-Pleite der Zertifikatebranche einen gewaltigen Imageschaden ein. Zuletzt haben der Einbruch des Massengeschäfts und die Corona-Krise den Anbietern dieser besonderen Inhaberschuldverschreibungen weitere Schläge versetzt. Als die internationalen Börsen Ende Februar wegen der Eskalation der Viruspandemie in die Tiefe rauschten, verloren auch viele Zertifikate deutlich an Wert. Mit der Erholung an den Aktienmärkten haben sich zwar auch die Aussichten für renditehungrige Zertifikate-Anleger wieder etwas verbessert - doch diese müssen weiterhin bereit sein, Risiken einzugehen, wenn sie Wege aus der Zinswüste finden wollen.

Weil Zertifikate nicht wie Investmentfonds geschützte Sondervermögen sind, können sie bei Zahlungsunfähigkeit des Emittenten komplett ausfallen. Dieses Risiko war lange Zeit als rein hypothetisch wahrgenommen worden - bis am 15. September 2008 der Anbieter Lehman Brothers Insolvenz anmeldete und eine niederländische Tochtergesellschaft der US-Investmentbank ihre Anleger plötzlich nicht mehr auszahlen konnte. Aus heutiger Sicht sind die Lehman-Zertifikate zwar letztlich nicht komplett wertlos geworden, doch nach Abschluss des Insolvenzverfahrens sahen viele Anleger nur einen Teil ihres Geldes wieder.

In den vergangenen zwölf Jahren hat sich in puncto Anlegerschutz viel getan. So betont der Branchenverband DDV, dass Regelwerke wie Mifid II dafür sorgten, dass Privatanleger sehr gut aufgeklärt würden und damit in der Lage seien, eigenverantwortlich Entscheidungen zu treffen. Dennoch dümpelte das Marktvolumen an Zertifikaten in den letzten Jahren bei rund 70 Milliarden Euro vor sich hin und liegt damit sogar noch tiefer als in den Monaten unmittelbar nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers. Dieses niedrige Niveau ist Ausdruck des Umstandes, dass in Zeiten ultraniedriger Zinsen die einst im Massengeschäft so beliebten Produkte mit Kapitalschutz deutlich an Attraktivität eingebüßt haben - weil sie sicherheitsorientierten Anlegern aktuell nur Minirenditen bieten können.

Die Pandemie ließ dann das Marktvolumen im März auf knapp 62 Milliarden Euro einbrechen. "Bei den Anlagezertifikaten haben vor allem die Produkte ohne Kapitalschutz deutlich an Wert verloren, die zusammen rund 60 Prozent des ausstehenden Volumens am deutschen Zertifikatemarkt ausmachen", sagte Andrea Vathje, Zertifikateexpertin bei Scope Analysis. Hier hängt die Rückzahlung der Produkte von der Wertentwicklung des Basiswerts ab. "Fällt der Kurs des Basiswerts während der Laufzeit, dann erhöht sich zunächst einmal unter sonst gleichen Bedingungen auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Basiswert auch zur End­fälligkeit unterhalb der bei Auflegung festgelegten Schwellenwerte notiert und der Anleger damit weniger zurückerhält als er eingezahlt hat", erklärte Vathje.

Allerdings ist laut der Scope-Expertin festzuhalten, dass diese Verluste zunächst eine stichtagsbezogene Betrachtung sind. Letztendlich entscheidend für die Rückzahlung der Produkte seien bei einem Großteil der aktien- und indexbezogenen Zertifikate allein die Kurse der Basiswerte bei Endfälligkeit. Und jüngst hat sich die Stimmung an der Börse wieder aufgehellt. Wie die Fachzeitschrift "Der Zertifikateberater" auf Basis einer Umfrage für August unter Beratern, Vermögensverwaltern und Emittenten mitteilte, hat die nachhaltige Erholung der Aktienkurse in den letzten Monaten in der Tat auch für eine deutliche Entspannung am Zertifikatemarkt gesorgt.

So hat das Marktvolumen zuletzt wieder angezogen und lag im Juli bei 67 Milliarden Euro. Die Scope-Expertin Vathje rechnet damit, dass sich das Volumen an ausstehenden Produkten bei knapp um 70 Milliarden Euro weiter stabilisiert. Die Gründe hierfür sieht sie vor allem im aktuellen Niedrigzinsumfeld, in dem viele Sparer händeringend nach einem "Zinsersatzprodukt" suchten, um kein reales Kapital zu vernichten.

Das größte Risiko für die Fortführung des Aufschwungs ist derweil laut der Zertifikateberater-Umfrage ein Wiederaufflammen der Infektionszahlen im Zuge der Corina-Krise. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass die Profis als wichtigsten Anlagetrend noch vor dem Megathema Nachhaltigkeit das Edelmetall Gold nennen.

Gold profitiert nicht nur von der hohen Verunsicherung über den Fortgang der Corona-Pandemie, sondern auch von den vielen Streitigkeiten zwischen den USA und China sowie den weltweit mageren Zinsen. Gold wirft im Gegensatz zu vielen anderen Anlageformen keine regelmäßigen Erträge wie Zinsen oder Dividenden ab. Sind die Zinsen niedrig, entfällt ein gravierender Nachteil der Goldanlage - und das Edelmetall erhält Zulauf. Eventuell also trauen die Zertifikate-Profis dem Frieden an den Aktienmärkten nicht so recht./la/bek/fba

--- Von Lutz Alexander, dpa-AFX ---