Von Manuel Priego-Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Die bald beginnende Berichtssaison für das zweite Quartal droht den Börsen einen weiteren Nackenschlag zu versetzen. Trotz aufziehender Rezessionswolken sind die Schätzungen für die Unternehmensgewinne am Markt bislang kaum gefallen. Das könnte sich nun ändern. Dann würde ein weiteres Kaufargument fallen - nämlich die scheinbar günstigen Aktienbewertungen. Ein Ende der Talfahrt an den Börsen ist nicht in Sicht. Wie ein Damoklesschwert hängt zudem ein möglicher Stopp der russischen Gaslieferungen über den Märkten.

Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 10,7 Prozent ist die DAX-Bewertung auf ein Dekadentief gefallen. Die niedrige Bewertung ist die Folge stark gefallener Kurse bei zugleich kaum nachgebenden Gewinnprognosen. Dies als Kaufargument zu nutzen, ist indes gewagt. Denn die Gefahr ist groß, dass sich die weiter eintrübenden Wirtschaftsaussichten, die grassierende Inflation und das einbrechende Konsumentenvertrauen zunehmend in den anstehenden Unternehmenszahlen und Ausblicken zeigen werden. Die Folge wären Abwärtsrevisionen bei den Schätzungen - das KGV würde wieder steigen.


   Realität ist bei Unternehmensanalysten noch nicht angekommen 

Gewinnschätzungen haben nachlaufenden Charakter. Während die Ökonomen bereits seit geraumer Zeit ihre Prognosen senken, ist diese Realität bei den Unternehmenanalysten noch nicht wirklich angekommen. Zunehmend gehen Volkswirte davon aus, dass die USA, und möglicherweise auch Europa, in den kommenden Monaten in die Rezession abgleiten werden. Hauptgrund ist die Wende in der Geldpolitik der großen Notenbanken, die nach langem Zögern nun ernsthaft entschlossen scheinen, der Inflation die Stirn zu zeigen, und das trotz der damit verbundenen wirtschaftlichen Kollateralschäden.

Die Wirtschaft schwächt sich seit geraumer Zeit ab. Das sollten auch die Daten in der kommenden Woche unterstreichen. Sowohl die aus einigen europäischen Ländern wie auch den USA anstehenden Einkaufsmanagerindizes sind im Juni wohl weiter gefallen. Auch bei den deutschen Auftragseingängen wird für Mai ein Minus erwartet. In den USA dürfte die Beschäftigung im Juni wohl deutlich langsamer gestiegen sein, die guten Zeiten neigen sich dem Ende zu. Die Commerzbank rechnet damit, dass die US-Arbeitslosenquote 2023 auf mindestens 5 Prozent steigen wird.


   Es droht eine Energiekrise in Deutschland 

"Das nächste Aktienmarktrisiko liegt in konkret negativen Gewinnrevisionen", sagt die DZ Bank. Der Aktienmarkt scheine die steigenden Rezessionssorgen immer noch nicht vollumfänglich zu teilen, denn die breiten Gewinnerwartungen für Europa und die USA sind trotz der Krisenherde mehr als robust geblieben. Analysten seien aufgrund der Vielzahl aufkeimender Unsicherheiten in diesem Jahr zögerlich bei der Anpassung ihrer Gewinnschätzungen. In der kommenden Berichtssaison zum zweiten Quartal würden negative Anpassungen der Gewinnerwartungen aber wahrscheinlich.

Ein weiteres Risiko für den DAX ist eine Energiekrise in Deutschland. Zwar hat Land die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen in den vergangenen Monaten reduziert, ein plötzlicher Stopp würde aber nach wie vor eine schwere Rezession auslösen. Präsident Putin ist sich dieser Vulnerabilitäten bewusst. Die jüngsten Drosselungen der Gas-Lieferungen dürften hauptsächlich den Zweck verfolgen, ein Auffüllen der Gasspeicher für den kommenden Winter zu verhindern. Je näher die kalten Monaten rücken, desto größer wird die Wirkung des Energiehebels sein.


   Uniper ist symptomatisch für Probleme der deutschen Wirtschaft 

Was drohen könnte, dafür ist Uniper ein gutes Beispiel. Der Versorger kann seine Prognose im laufenden Jahr wegen der niedrigen Gasliefermengen und des Ausweichens auf teure Ersatzbeschaffungen nicht halten. Damit aber nicht genug: Das Unternehmen sucht Hilfe und lotet in Gesprächen mit der Bundesregierung Stabilisierungsmaßnahmen zur Sicherung der Liquidität aus. "Der Energieversorger steht symptomatisch für die Krise, die der deutschen Wirtschaft durch den schlichten Mangel an Gas in den kommenden Monaten ins Haus stehen dürfte", so CMC.

"Vor diesem Hintergrund könnte das zweite Börsenhalbjahr ... so starten, wie das alte heute aufhört - mit Kursverlusten und einem drohenden Rutsch aus technischer Sicht bis in die Region um 11.300 Punkte", heißt es bei CMC weiter zum DAX. Sollte das Tief von Anfang März bei 12.432 Punkten in den kommenden Stunden und Tagen nicht verteidigt werden können, dürfte das Licht an der Frankfurter Börse ganz schnell ausgehen. Noch überwiege die Hoffnung, dass dieses Niveau halten könnte.

Kontakt zum Autor: manuel.priego-thimmel@wsj.com

DJG/mpt/ros

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July 01, 2022 07:49 ET (11:49 GMT)