Von Michael Denzin

FRANKFURT (Dow Jones)--Auf den Beginn einer volatilen Bodenbildung an den Börsen sollten sich Anleger in der kommenden Woche bei DAX & Co einstellen. Die 800-Punkte-Eindeckungsrally vom Wochenbeginn führte deutlich vor Augen, wie wenig Abwärtspotenzial die Leerverkäufer den Aktienbörsen noch zubilligen. Wer auf fallende Kurse gesetzt hat, will nun keinen Cent seiner Gewinne mehr aufgeben und ist bereit zum Ausstieg.

Für den normalen Aktienkäufer, der Geld nur mit steigenden Kursen verdienen kann, sind das gute Nachrichten. Denn wenn die üblicherweise besser informierten Hedgefonds aussteigen, sehen sie weniger Chancen nach unten als nach oben. Schließlich sind die Risiken mittlerweile bekannt und benannt: Von der Ukraine, drohender Rezession und globalen Zinserhöhungen sind die meisten Belastungsfaktoren nicht mehr neu. Gestritten wird nur noch über ihr Ausmaß.


   Risikolage wird asymmetrisch - Gutes wird stärker belohnt 

Die Risiken am Markt werden damit asymmetrisch: Die Chance auf gute Nachrichten mit starken Ausschlägen nach oben zu reagieren, ist größer, als die Gefahr, bei schlechten News noch zu fallen, unterstreichen auch die Strategen von OFI Asset Management.

In der nun langsam anlaufenden Berichtssaision dürften zwar viele Unternehmen ihre Gewinnprognosen senken, jedoch sollte das meiste davon mit den vorausgegangenen Kurseinbrüchen eingepreist sein: So wie eine durchschnittliche Senkung der Gewinnprognosen für 2023 um 20 Prozent. Oder an den Anleihemärkten ein Anstieg der Renditen für langfristige Anleihen auf beiden Seiten des Atlantiks um 75 Basispunkte. Beides sei nun zu verkraften, so die OFI-Strategen.

Allerdings raten sie Anlegern, weiter von hoher Volatilität an den Aktienmärkten auszugehen: "Mehr denn je sollten Anleger deshalb nur Geld investieren, das sie im Notfall nicht benötigen werden". Mit zwischenzeitlichen Rückschlägen von 10 bis 15 Prozent müsse gerechnet werden.


   Volatilität bei Aktien durch Renten-News 

Ob Anleger mit solchen Hausnummern umgehen können, sei dahingestellt. Aber im Handel heißt es dazu, wer sich über 800 Punkte DAX-Gewinn in zwei Tagen freut, dürfe sich auch wegen 1.000 Punkten Verlust in einer Woche nicht wundern. Als empfindlichste Flanke für den Markt wird klar die Zinserwartung gesehen. Der DAX und andere Aktienindizes korrelieren zur Zeit überwiegend mit fallenden Renditen. Hawkishe Aussagen der US-Notenbank können ihn daher schnell wieder zu Fall bringen. Vor allem in der kommenden Woche wird es gefährlich, da die wichtige 10-Jahres-Anleihe in den USA kurz vorm Sprung über die psychologisch wichtige 4-Prozent-Marke steht.


   Neue Zinsumgebung immer wieder unterschätzt 

Die Gefahr von negativen Überraschungen vom Rentenmarkt ist sehr hoch. Nicht grundlos wird ihm seit Beginn der Inflationskrise vor einem Jahr vorgeworfen, viel zu leichtfertig bei den Zinserwartungen zu sein. Allein zwischen dem Notenbanker-Treffen in Jackson Hole und der folgenden Zinsherhöung der US-Notenbank musste der Markt seine Erwartungen an den US-Zins drei Mal nach oben revidieren.

Einen Grund machen gestandene Händler teils in der mangelnden Erfahrung der mittlerweile verantwortlichen Fondsmanager aus: "Der US-Realzins hat nun einen Abwärtstrend von 20 Jahren hingelegt, da erinnert sich kaum noch ein Verantwortlicher an ein normales Zinsregime", sagte ein Händler. Die Nullzinsumgebung des letzten Jahrzehnts hätte dies noch verschärft.

Auch die Kreditmarkt-Strategen der LBBW verweisen dazu auf die jüngsten Aussagen von US-Notenbanker, die klar von nachhaltiger Inflation und weiteren Zinserhöhungen sprachen. "Ungeachtet der Aussagen führender Notenbanker zweifeln die Investoren nach wie vor am fortgesetzt restriktiven Kurs der Fed", kritisieren sie die Haltung des Marktes. Denn beim Blick auf die Futures-Kurse zeige sich, dass für 2023 schon wieder ein Abwärtsschritt um 25 Basispunkte eingepreist werde.


   Auf US-Zins bei 5,0 Prozent ist Markt nicht vorbereitet 

Und auch Tiffany Wilding, Nordamerika-Ökonomin vom Vermögensverwalter Pimco betont: "Die Kern-Inflationsraten scheinen sich inzwischen über den Zielvorgaben der Zentralbanken zu verfestigen". Der Anstieg der Inflation gehe über die Bereiche hinaus, die noch von den pandemiebedingten Störungen der weltweiten Warenproduktion betroffen sind. Wilding erwartet daher einen Spitzensatz bei den US-Leitzinsen in der Spanne von 4,5 bis 5,0 Prozent.

Händler verweisen darauf, dass dies wieder einmal "weit" über den Markterwartungen liegt, die diese "Peak Rate" bisher nur um die 4,25 Prozent verorten. Die Gefahr negativer Überraschungen für den Anleihemarkt bleibt daher hoch.


   Auf US-Banken und Kernrate achten 

Bei den Ausblicken der US-Banken sollte daher genau zugehört werden, wie sie die Zinsentwicklung einschätzen. Mit JP Morgen, Wells Fargo, Morgan Stanley und der Citigroup startet ab dem kommenden Freitag die US-Berichtssaison gleich mit Vollgas.

Davor könnten bereits am Mittwoch die neuen US-Erzeugerpreise (PPI) für September und das Protokoll der US-Notenbanksitzung vom 21. September als Wegweiser für die US-Zinsen dienen. Über fallende Gesamt-Inflationsraten (die "Headline"-Zahlen) sollten sich Anleger indes nicht zu sehr freuen: Im Fokus der Fed steht klar die Ansteckung und Ausdehnung der Inflation in alle Lebensbereiche. Daher dürfte nur ein Rückgang der Kernrate, also ohne Nahrungs- und vor allem Energiepreise, zu nachhaltigen Kursgewinnen führen.

Gespitzte Ohren sollten Anleger auch bei Aussagen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds haben. Denn dort läuft kommende Woche die Jahrestagung. Im Blick dürfte besonders ihr Bericht zur internationalen Finanzstabilität stehen.

Und für Freunde der heimischen Politik dürfte die Woche bereits am Sonntag mit der Landtagswahl in Niedersachsen starten. Die Wahl ist das erste Vertrauensvotum für die Ampel-Regierung nach Beginn der Energiekrise. Größere Verwerfungen in Niedersachsen könnten dann auch die Berliner Politik beeinflussen.


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October 07, 2022 09:24 ET (13:24 GMT)