FRANKFURT (Dow Jones)--Die kommende Handelswoche dürfte spannend werden, denn die Wirkung der US-Zinsentscheidung am Mittwoch dürfte noch für Wochen ins neue Jahr hinein hallen. Nach der US-Notenbank tagt dazu am Donnerstag die EZB und am Freitag findet der große Verfalltag an den internationalen Terminbörsen statt. Vielfach dürften dann die Bücher für das Jahr 2023 geschlossen werden. In der Woche vor Weihnachten dürfte entsprechend Ruhe einkehren, ebenso zwischen den Jahren, und professionelle Anlageentscheider werden nicht vor dem 8. Januar aus dem Urlaub zurückerwartet.
Unter dem Strich also mutmaßlich viel Zeit, über die Aussagen der Notenbanker zu reflektieren und die entsprechenden Positionierungen nachzudenken. Im neuen Jahr dürften die Karten wieder neu gemischt werden. Erste Marktteilnehmer sprechen bereits von einer großen Rotation, die sie unter den Branchen erwarten.
Den meisten Marktteilnehmern ist klar, dass die Märkte zu weit vorgeprescht sind. Dabei sind Allzeithochs im DAX noch das kleinste Problem, weil in Deutschland nur noch Minisummen von unter 3 Prozent der Portfolios investiert sind. Wichtiger ist, was mit den Billionen schweren internationalen Anleihe-Portfolios passiert, die eine massive Rally hinter sich haben. So fiel die Rendite 10-jähriger US-Anleihen vom Hoch Ende Oktober knapp unter 5 Prozent auf unter 4,2 Prozent zurück.
Für die Anleihe-Portfolios steht und fällt nun alles mit der richtigen Einschätzung der künftigen Politiken der Zentralbanken. Und den meisten Akteuren ist bewusst, dass fast alles Gute bereits eingepreist ist. Der Markt geht mit der Erwartung in die Fed-Sitzung, dass schon ab März die Zinsen sinken und im Jahresverlauf um 150 Basispunkte nach unten gehen könnten. Das halten viele für zu euphorisch. Entsprechend hoch ist das Enttäuschungspotenzial, falls auch nur kleine falkenhafte Interpretationen der Fed-Aussagen möglich sein sollten.
DAX bis 17.000 wäre denkbar - Aber schlecht für 2024
Sollten aber Aussagen erfolgen, die taubenhaft ausgelegt werden, könnte die Rally weitergehen. Besonders im DAX gibt es dann noch Nachholpotenzial. Und auch der Verfall am Freitag könnte stützen, heißt es aus dem Eurex-Handel. Denn leerverkaufte Calls auf der 16.800er-Marke könnten durch Eindeckungskäufe die Kurse nach oben reißen. Selbst ein kurzfristiges Überschießen über die 17.000er-Marke wäre dann denkbar. "Das eine Prozent nehmen wir dann auch noch mit", so ein Optionshändler.
Allerdings - je höher DAX & Co aus dem Jahr 2023 gehen, desto schwieriger wird es 2024. Von professionellen und langfristig orientierten Marktteilnehmern ist daher häufig zu hören, dass ihnen ein Kursrutsch nicht ganz ungelegen käme, um dann noch Potenzial für 2024 zu haben.
Besonderes Augenmerk wird auf der Branchenrotation liegen. Schon jetzt zeigt sich, dass das Thema "Zinshöhepunkt" an den Aktienmärkten nicht mehr zieht. Die Gewinnmitnahmen der vergangenen Tage bei zinssensitiven Kursgewinnern wie Immobilien- oder Technologietiteln war nicht zu übersehen.
Zinsthema ausgelutscht - Konjunktur im Fokus
Kapital dürfte nun weiter in Richtung Konjunkturaktien fließen. Während viele wie Kaninchen auf die "Zins-Schlange" starrten, erholte sich die Konjunktur klammheimlich und erwischte Investoren mit unpassend strukturierten Portfolios auf dem falschen Fuß. Das Startsignal gaben vor einer Woche bessere Caixin-Einkaufsmanager-Indizes, die urplötzlich wieder ins expansive Territorium zurückkehrten.
In einer ersten Reaktion folgte eine Eindeckungsrally bei Minen- und Rohstoffaktien, die den Sektor an einem Tag zeitweise um bis zu 4 Prozent nach oben trieben. Händler werteten das als klares Zeichen einer groben Fehlallokation auf Anlegerseite. Die Umschichtung hinein in globale Konjunkturwerte und raus aus besonders zinsabhängigen Titeln dürfte daher noch viele Wochen anhalten.
Aktiensparer sollten vor allem darauf achten, ob sich die positiven Überraschungen bei den Konjunkturdaten fortsetzen - wie bei den Aufwärtsrevisionen der Service-Einkaufsmanagerindizes in der Eurozone. Dass die Zinsen ihren Höhepunkt hinter sich haben, ist dagegen Marktkonsens und hat nur noch begrenztes, positives Überraschungspotenzial.
Für Anleihe-Sparer wird es schwerer
Anleger in Anleihen müssen bei ihrer Planung daher dagegen etwas genauer kalkulieren und auf die Wortwahl bei Fed und EZB achten. Christian Scherrmann, US-Volkswirt vom Vermögensverwalter DWS, erwartet eine gewisse Diskrepanz zwischen Taten und Worten der US-Notenbanker: Sie dürften "falkenhaft sein, aber nicht falkenhaft handeln".
Bei den aktualisierten Inflationsprognosen sieht Scherrmann ein hohes Überraschungspotenzial für die Börsen. Die Fed könnte signalisieren, dass sie trotz Risiken für die Konjunktur bereit ist, an der Inflationsbekämpfung festzuhalten. Dies wäre "das Gegenteil der Erwartungen der Märkte", warnt er.
Bei der EZB-Sitzung am Donnerstag sind die Erwartungen geringer. DWS-Volkswirtin Ulrike Kastens: "Es ist noch zu früh, um über Zinssenkungen zu reden". EZB-Chefin Lagarde dürfte das in der Pressekonferenz betonen, selbst wenn die Wachstums- und die Inflationsprojektionen für 2024 nach unten genommen würden. Wer zu lang laufende Bonds gekauft hat, könnte abgestraft werden.
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December 08, 2023 06:52 ET (11:52 GMT)