Von Steffen Gosenheimer

FRANKFURT (Dow Jones)--Ein Gespenst geht um an den Börsen und versetzt die Anleger in Angst und Schrecken. Das Gespenst heißt Stagflation und wenig spricht dafür, dass es sich in der kommenden Woche verziehen wird. Die Angst vor Inflation und gleichzeitiger Stagnation der Wirtschaft dürfte weiter die Richtung vorgeben und spricht eher für eine Fortsetzung der Abwärtstendenz. Zugleich dürfte die Volatilität an den Aktienmärkten erhöht bleiben angesichts der schnell wechselnden Nachrichtenlage aus der Ukraine.

Seit Beginn der russischen Invasion in die Ukraine hat der DAX rund 7,5 Prozent eingebüßt, im Tief waren es aber auch schon über 12 Prozent. Die Analysten von Warburg, aber auch andere, haben wegen des zu erwartenden schwächeren Wachstums der deutschen Wirtschaft und der Unternehmensgewinne ihre DAX-Ziele bereits gesenkt. Das aktuelle DAX-Niveau von 13.500 Punkten würde sich bei einer Gewinnstagnation in diesem Jahr und einer unveränderten Gewinnsteigerungsrate von 10 Prozent im nächsten Jahr ergeben, hat Warburg errechnet.

Die gute Nachricht sei aber, dass der DAX auf Basis der in zwölf Monaten erwarteten Unternehmensgewinne mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von knapp 11,5 bereits wieder günstiger bewertet sei als im langjährigen Mittel. Bei der LBBW sieht man die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es der DAX bis zum Jahresende nicht mehr zurück ins Plus schafft, als "markant erhöht".


   25 oder doch 50 Basispunkte - was macht die Fed? 

Wäre nicht der Krieg in der Ukraine mit all seinen Unwägbarkeiten für die Finanz- und Rohstoffmärkte und damit das Wirtschaftswachstum - abgesehen vom Leid der ukrainischen Bevölkerung -, das Zinstreffen der US-Notenbank wäre aus Börsianersicht klar das wichtigste Ereignis der Woche.

Dass der Leitzins in den USA zum Ende der zweitägigen Beratungen des Offenmarktausschusses am Mittwochabend nach einer sehr langen Phase erstmals wieder erhöht wird, gilt als ausgemacht. Ob allerdings ein kleiner oder ein großer Zinsschritt kommen wird, darüber gehen die Meinungen auseinander. Aktuell liegt der Leitzins bei 0 bis 0,25 Prozent.

Vor dem russischen Angriff hatte es durchaus nach einer Erhöhung um 50 Basispunkte ausgesehen, folgte man den Einlassungen diverser US-Notenbanker. Mit der russischen Invasion gingen die Erwartungen wieder in Richtung 25 Basispunkte, weil der Krieg und die verhängten Sanktionen gegen Russland für die globale Konjunkturentwicklung schwer abschätzbare Folgen haben.

Allerdings haben zuletzt die Verbraucherpreise aus den USA aufgeschreckt. Mit 7,9 Prozent fiel die Inflation im Februar nochmals einen Tick höher aus als erwartet und war so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. Das könnte wieder die geldpolitischen Falken stärker auf den Plan rufen.

Außerdem sind mit der Invasion die Energiepreise massiv gestiegen und auch die ohnehin schon preistreibenden Lieferkettenprobleme nochmals verschärft worden. Neue inflationäre Wirkungen sind also vorprogrammiert.


  Notenbanken in der Zwickmühle 

Die Notenbanker, nicht nur in den USA, stecken also in der Zwickmühle: höhere Zinsen dämpfen potenziell die Inflation, zugleich aber auch das Wirtschaftswachstum. Zwar hat sich US-Notenbankchef Jerome Powell für einen kleinen Zinsschritt stark gemacht, das heißt aber nicht, dass es auch so kommen muss. Der Zinsentscheid birgt also Überraschungspotenzial und könnte für stärkere Impulse bei Aktien, Anleihen wie auch beim Dollar sorgen. Zuletzt erreichte die Zehnjahresrendite in den USA in Erwartung steigender Leitzinsen wieder Niveaus knapp über 2 Prozent. Das ist das höchste Niveau seit Juli 2019.

Auf höhere Zinsen müssen sich die Anleger auch in der Eurozone gefasst machen. Analysten interpretieren die neuesten Aussagen von EZB-Chefin Christine Lagarde dahin, dass 2022 mit zwei Erhöhungen zu rechnen sein dürfte, allerdings eher erst gegen Ende des Jahre. Dabei betonen sie, dass sich die Währungshüter im Hinblick auf Inflationsentwicklung und den Krieg in der Ukraine Handlungsflexibilität eingeräumt haben. Der Euro dürfte davon denn auch kaum Rückenwind bekommen, weil die Perspektive steigender Zinsen in den USA viel konkreter sei.

Die Bank of England hat wegen der hohen Inflation ihren Leitzins bereits zweimal in Folge erhöht und dürfte das am Donnerstag das dritte mal tun. Die japanische Notenbank wird am gleichen Tag voraussichtlich an den derzeitigen geldpolitischen Einstellungen festhalten. Japan hat 2016 Negativzinsen eingeführt, um die jahrzehntelange Deflation zu bekämpfen. Die Zentralbank hat dennoch ihr Inflationsziel nicht erreicht, was sie daran hindert, die Zinsen wieder auf ein normales Niveau anzuheben.


   Was machen die Energiepreise? 

Hoch bleiben dürfte auch die Nervosität an den Rohstoffmärkten, wenngleich sich hier zuletzt zumindest eine leichte Beruhigung zeigte. Brentöl kostet aktuell zwar immer noch 110 Dollar je Fass, im Hoch waren es aber auch schon 140. Entwarnung ist damit noch nicht angesagt. Der Markt dürfte in diesem Umfeld genau hinhören, was aus Kreisen der Ölförderer zu hören ist im Vorfeld des Treffens der Opec+ Ende des Monats.

Mit den jüngsten Verlautbarungen des US-Botschafters der Vereinigten Arabische Emirate, wonach die Opec ihre Ölförderung weiter ausweiten könnte, wurde laut der Commerzbank für das Treffen zumindest schon einmal ein Geist aus der Flasche gelassen.


   RWE und Eon berichten 

Auf Unternehmensebene stehen ausgerechnet die beiden Energieversoger RWE am Dienstag und Eon am Mittwoch mit Bilanzpressekonferenz und Geschäftszahlen auf dem Kalender. Die Folgen für den Energiemarkt durch den Krieg in der Ukraine dürften das beherrschende Thema sein. Bekannt ist, dass RWE in Brunsbüttel ein Flüssiggas-Terminal bauen wird, um die Importabhängigkeit von Russland zu verringern. Die wichtigsten Kennziffern hat RWE bereits Ende Januar veröffentlicht und die Jahresprognose 2022 Mitte Februar angehoben.

Auch bei Eon dürften die Energieimporte das beherrschende Thema werden. Das Unternehmen ist mit 15,5 Prozent an der Gas-Pipeline Nord Stream 1 beteiligt, nicht aber an Nord Stream 2, deren Inbetriebnahme mittlerweile auf Eis gelegt wurde. Das Geschäftsergebnis 2021 dürfte vor allem vom kräftigen Anstieg der Energiepreise bestimmt worden sein.

Ihre Jahresergebnisse präsentieren daneben am Dienstag Volkswagen und am Mittwoch BMW. Am Freitag meldet sich aus der Reihe der DAX-Unternehmen Vonovia mit den 2021er Zahlen. Sie werden von der milliardenschweren Übernahme des Konkurrenten Deutsche Wohnen gekennzeichnet sein.


   Hexensabbat nicht zu vergessen 

Auf Konjunkturseite zeichnen sich die Verbraucherpreise für Februar in der Eurozone als wichtiges Datum ab. Sie werden am Donnerstag mitgeteilt. Bereits am Dienstag stehen in den USA die Erzeugerpreise für Februar auf der Agenda.

Im Blick haben sollten Anleger auch den großen Verfalltag an der Terminbörse Eurex am Freitag. An dem auch Hexensabbat genannten Tag verfallen Optionen und Futures auf Indizes und einzelne Aktien. Oft geht dieser Tag einher mit erhöhten Umsätzen und erhöhter Volatilität, weil Anleger versuchen, Kurse kurzfristig in bestimmte, ihnen genehme Richtungen zu bewegen.

Nicht gänzlich aus dem Blick verlieren sollten die Akteure an den Finanzmärkten die Corona-Pandemie. Obgleich immer mehr Beschränkungen wegfallen, hat Gesundheitsminister Lauterbach gerade erst wieder gewarnt, "die Corona-Lage ist objektiv viel schlechter als die Stimmung". Angesichts der deutlichen Zunahme von Corona-Infektionen hat er die Länder aufgefordert, sich auf eine Anwendung der neuen gesetzlichen Regelungen in sogenannten Hotspots einzurichten. "Bei der Entwicklung der Fallzahlen erwarte ich Hotspots in zahlreichen Bundesländern", erklärte Lauterbach. Als Beispiel nannte er Köln, wo offenbar nach dem Karneval deutlich steigende Zahlen verzeichnet würden.

Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com

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March 11, 2022 06:51 ET (11:51 GMT)