Von Michael Denzin

FRANKFURT (Dow Jones)--Auf eine Fortsetzung der wilden Seitwärtsbewegungen an den Aktienmärkten sollten sich Anleger in der kommenden Woche einstellen. Bevor die Ergebnisse der US-Notenbank nicht feststehen, werden die Unsicherheiten über ihre Inflationseinschätzung und den kommenden Pfad der Zinserhöhungen dominieren. Gleichzeitig ist der Markt auf Themensuche - denn "Corona" gilt als Anlagethema mittlerweile als abgehakt, Neues ist nicht in Sicht und nur "Inflation" hängt als ein Damoklesschwert über dem Markt.

Der Markt schaltet bei soviel Ungewissheit üblicherweise in den "Risk-Off"-Modus, in dem alles am Aktienmarkt verkauft wird. Denn wie in der abgelaufenen Woche ersichtlich, fallen längst nicht mehr nur noch die zinsempfindlichen Technologie- und Wachstumswerte. Ehemalige Corona-Gewinner wie Lieferdienste und Healthcare-Firmen fliegen aus den Depots und Sektoren wie Erneuerbare Energien können die überhöhten Erwartungen fundamental nicht rechtfertigen. Sogar die zyklischen Konjunkturgewinner aus Branchen wie Auto, Stahl und Rohstoffe werden mit abverkauft.


   Aktien verkaufen - bis neuer US-Zinspfad steht 

Fundamental scheint der Aktienverkauf begründet, denn die Explosion der Inflationsdaten macht einen aggressiveren Zinskurs der US-Notenbank immer drängender. Binnen Wochen sprangen die Erwartungen von nur drei US-Zinserhöhungen in diesem Jahr auf vier bis fünf an. Das zwang den Markt immer wieder zum Einpreisen von weiteren Abschlägen auf den Aktienkurs.

Zudem kommen die schädlichen Folgen der Inflation immer direkter beim Bürger an. So zeigten enttäuschende US-Retaildaten, dass immer weniger Geld im Portemonnaie der Verbraucher ankommt. Ob dies nun von einer Energiepreis-getriebenen oder einer Lieferengpass-verursachten Inflation ausgelöst wurde, kann den Endkunden egal sein: Denn gerade der Konsum gilt vielen Volkswirte als der Grundpfeiler schlechthin, um die zweite Welle der Nach-Corona-Erholung der Wirtschaft anzutreiben.


   Kampf gegen Inflation kommt gut an - Markt vertraut der Fed 

Die hohe Priorität der US-Notenbank gegenüber der Inflationsbekämpfung kommt daher unter dem Strich gut an. Im Gegensatz zur nahezu grotesken Ignoranz der Europäischen Zentralbank (EZB) könnte sie mit einigen, entschlossenen Zinserhöhungen verhindern, dass später jahrelang an den verursachten Schäden herumgedoktert werden muss.

Entsprechend belohnte der US-Anleihemarkt am Donnerstag die Fed bereits mit Vorschusslorbeeren: Die 5-Jahres-Inflationserwartung brach nach langer Seitwärtsbewegung auf hohem Niveau nach unten aus. Mit 1,92 Prozent fiel sie auf den tiefsten Stand seit Januar 2021 zurück, also die Zeit vor Beginn der großen Zinserhöhungsdebatte. "Das zeigt ein Riesenvertrauen in die Fed, dass sie die Inflation in den Griff bekommt", sagte ein Händler.


   US-Börse Nasdaq überverkauft - Erholung nach Fed möglich 

Entsprechend dürften die US-Börsen auch die ersten sein, die sich mit der Klarheit einer Fed-Zinsentscheidung kräftig erholen. Marktbeobachter weisen darauf hin, dass gerade die US-Tech-Börse Nasdaq mittlerweile völlig überverkauft sei. Dort sei der Markt auf ganzer Breite abverkauft worden, was damit wohl auch viele "unschuldige" Werte mit nach unten gerissen habe.

Die Marktbreite zeige, dass auf rund 40 Aktien, die Neue Hochs ausgebildet haben, bei über 700 Aktien neue Tiefs erzielt wurden. Und an der New Yorker NYSE, die mehr klassische Konjunkturwerte führt, liegt der Umsatz in fallenden Aktien nun mehr als dreimal höher als der von steigenden Titeln. Strategen werten solche Übertreibungen als Zeichen einer anstehenden Bodenbildung in den USA.


   Europas Zukunft ungewiss - EZB macht ratlos 

Wie es mit Europas Börsen weitergeht, steht indes auf einem anderen Blatt. Denn anders als in den USA macht das Wegschauen der EZB bei der Preisexplosion viele Strategen ratlos. So fiel EZB-Chefin Lagarde nach dem mit über 24 Prozent höchsten Anstieg der deutschen Erzeugerpreise seit dem Zweiten Weltkrieg nichts anderes ein, als über Zinsen als "Bremse für das Wirtschaftswachstum" zu sinnieren. Dabei ist das aktuelle Zinsniveau so ziemlich das letzte, was die Wirtschaft derzeit interessiert.

Auch die gebetsmühlenartige Wiederholung diverser EZB-Sprecher, man werde ja gleich "das Peak" in der Inflation gesehen haben, wirkt eher hilflos als kompetent - oder als Ausdruck einer hauseigenen Agenda, die mit dem Auftrag zur Geldwertstabilität nichts zu tun hat. Denn so oft wie die EZB bei den Inflationsschätzungen hat sich kaum jemand vertan im vergangenen Jahr.

Daneben fällt die Öffentlichkeit gern auf die rhetorische Trickkiste der EZB rein: Denn wenn sie von einer "Spitze" der Inflation spricht, meint sie nur die Zuwachsraten. Dass die absoluten Preise für Mieten, Häuser, Lebensmittel und Handwerker weiter nach oben schießen - nur eben etwas langsamer - verschweigt sie dagegen gern.


   Energie und "Grüne Inflation" könnten Europas Firmen stärker belasten 

Haupttreiber der Inflation sind die Energiepreise. Durch das Nichtreagieren der EZB dürfte der Euro aber weiter ein schwache Währung bleiben, die Öl und Gas zu teuren Dollar-Wechselkursen einkaufen muss. Damit steigert die EZB die importierte Inflation. Europas Aktienunternehmen, die in Euro bilanzieren, dürften damit weiter mit hohen Öl-Einkaufspreisen zu kämpfen haben.

Dazu kommt künftig noch die "Greenflation", denn der Umbau der Wirtschaft zu erneuerbaren Energien zieht einen massiven Investitionsbedarf nach sich und bestraft Investitionen in fossile Energien - beides Probleme, die bei den US-Konkurrenten geringer ausfallen dürften. Entsprechend dürfte das Thema "Margendruck" durch Energiepreise eher Europa belasten als die USA.


   EZB gefährdet Konsum als Wachstumsstütze 

Dass selbst ein ehemaliger deutscher Finanzminister wie Peer Steinbrück und andere Experten die EZB-Politik als "unsozial" erkannt haben, da sie vor allem niedere Einkommen trifft, dürfte der Börse zunächst einmal egal sein. Das ändert sich aber schnell, sobald es den Konsum betrifft:

Dort droht schon das nächste Ungemach, denn sogar im Weihnachtsmonat Dezember zeigte sich, dass der Einzelhandelsumsatz in konsumversessenen Ländern wie den USA oder Großbritannien einbrach. Sollte die Kaufzurückhaltung anhalten, würde eine der wichtigsten Komponenten für das BIP-Wachstum ausfallen. Dass aber weiß die US-Notenbank und wird entsprechend reagieren.

Auch werden US-Anleger bei steigenden Zinsen künftig für ihren Kaufkraftverlust durch marktgerechte Zinsen kompensiert. In der EU wird das nicht der Fall sein. Allein im vergangenen Jahr hat die EZB für über 5 Prozent Kaufkraftverlust gesorgt. Anleger sollten daher vor der Ankündigung von Zinserhöhungen in der kommenden Woche durch die US-Notenbank keine Angst haben: Im Gegenteil, die aktive Politik der Inflationsbekämpfung durch die Fed dürfte die US-Börsen künftig noch attraktiver machen.

Kontakt zum Autor: maerkte.de@dowjones.com

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January 21, 2022 07:35 ET (12:35 GMT)