Von Michael Denzin

FRANKFURT (Dow Jones)--Mit voller Wucht zurück an die Börse kehrt das Thema Corona-Krise. Die Freude über den neuen US-Präsidenten Joe Biden wurde im Vorfeld ausreichend abgefeiert. Der Aktienrally und besonders in der Branche der Erneuerbaren Energien dürfte sich nun eine gewisse Rationalität anschließen. Denn wie genau Bidens grüne Energiepläne aussehen und in welchen Sektoren welche Mittel investiert werden können, ist noch nicht bekannt.

Dazu geht Biden auch das Corona-Problem an und sieht der Realität ins Auge. Auch in den USA werde die Lage zunächst schlechter werden, bevor Besserung einkehrt, ließ der neue Präsident gleich am ersten Tag seiner Amtszeit wissen. Und in Europa müssen sich die Anleger nun langsam eingestehen, dass sie vielleicht zu früh auf das falsche Pferd gesetzt haben. Die Regierungen bekommen die Pandemie nicht wie versprochen in den Griff.


   Deutschland versagt beim Impfen - Das gefürchtete "Double Dip" droht 

Entsprechend zeigen die aktuellen Einkaufsmanager-Indizes einen erneuten Stimmungsrückgang. In der deutschen Wirtschaft verschlechterte sich der Januar-PMI für den Servicesektor im ohnehin schon kontraktiven Bereich noch weiter und fiel auf 46,8 nach 47,0 Punkte. Damit sind weitere Pleitewellen bei Dienstleistern zu befürchten. Auch bei der bisherigen Konjunkturstütze, der Industrie, ging er zurück auf 57,0 nach 58,3 Punkten.

Auch der Gesamt-PMI für die Eurozone fiel im Januar auf 47,5 nach 49,1 im Dezember. Dies deutet auf eine beschleunigte Talfahrt Europas bei Industrie und Dienstleistung durch die Folgen von Corona-Lockdowns hin. Chef-Ökonom Chris Williamson von IHS Markit warnt daher, das Risiko einer "Double Dip"-Rezession in Europa werde damit "in steigendem Maße unvermeidbar". "Deutschland ist nicht in der Lage, die Impfungen in den Griff zu bekommen", sagte ein Händler.

Daher dürften Analysten und Volkswirte ihre Erholungshoffnungen für das zweite Quartal sukzessive aufgeben. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) hatte am Vorabend erklärt, dass die Knappheit bei den Impfstoffen noch "sechs bis acht Wochen" anhalten werde. Damit werden Impfungen in ausreichendem Maße nicht vor März stattfinden und damit auch erst im April wirksamen Schutz bieten. Dadurch wird auch das zweite Quartal von den Virus-Folgen erfasst.


   Lockdowns als Lösung werden zunehmend schwieriger 

Deutschland zeigt sich seit fast drei Monaten nicht in der Lage, die Folgen der Pandemie für Menschen und Wirtschaft in den Griff zu bekommen. Einen Impfstoff hatte Biontech bereits am 9. November angekündigt. Künftige Lockdowns über die Februar-Mitte hinaus scheiden jedoch als Ausrede für die Regierungen zunehmend aus. Neben der Unzufriedenheit der Bevölkerung bewegt sie sich auch in einem rechtlich schwierigen Raum: Selbst der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, sagte dazu in der Welt, er habe sich nie vorstellen können, "dass derart intensive Freiheitsbeschränkungen von der zweiten Gewalt, der Exekutive, beschlossen werden".


   Euphorische Anleger blenden Rezession aus 

Ob die Anleger die Aussicht auf eine zweite Rezession verstanden haben, ist fraglich. Denn die Stimmung ist einfach nur noch euphorisch zu nennen. Die Strategen von Bank of America warnen daher nach der Auswertung ihrer Funds Manager Survey für Januar, dass eine Korrektur des Risikos "imminent" sei.

Die Cash-Quote sei mit 3,9 Prozent auf den tiefsten Stand seit 2013 gesunken, Aktienanlagen auf einem Zehnjahreshoch, die Stimmung für den Gewinn je Aktie, die Renditen, die Inflation und die Schwellenländer allesamt auf Rekordhochs gesprungen und Tech-Werte und Bitcoin seien mittlerweile die überlaufensten Trades. Als mögliche Auslöser der Korrektur erwarten die Experten zum Beispiel Nachrichten rund um eine schleppende Verteilung des Impfstoffs sowie steigende Zinsen.


   Gute Berichtssaison allein reicht nicht 

Auch von der anlaufenden Berichtssaison ist nicht zu erhoffen, dass sie über die Einzelaktien hinaus auch den Gesamtmarkt antreibt. Denn die meisten Unternehmen überraschen nun mit guten Daten zum vierten Quartal des Jahres 2020. Sobald Börsianer dies aber für nicht wiederholbar halten, weil in Zukunft ein erneuter Absturz in die Rezession droht, dürften die Daten aus der Vergangenheit ihren Zauber verlieren. Speziell bei den großen Gewinnern der Corona-Krise, den Technologie-Unternehmen, warnte Fondsmanager Klaus Kaldemorgen von der DWS bereits, dass es sich oft um Einmaleffekte handelt.

Viele Strategen sehen daher nur die Geldschwemme der Notenbanken als Rechtfertigung für die aktuell sehr hohen Aktienbewertungen. Unterstützende Signale kamen gerade wieder von der Europäischen Zentralbank, ein Ende des Niedrigzinses ist angesichts erneuter Rezessionsängste kaum zu erwarten. Das Risiko liegt hier umgekehrt bei einer zu schnellen, wirtschaftlichen Erholung. Schließlich hat die darbende Wirtschaft auch die Inflation gebannt.


   Ende der Pandemie könnte Preisexplosion bringen 

Für die Börsen trage daher gerade das mögliche Ende der Pandemie den Keim des Absturzes in sich, sagt Ivan Mlinaric, Geschäftsführer von Quant Capital: "Die Preise könnten im dritten Quartal so stark steigen, dass die Notenbanken zu Zinserhöhungen gezwungen wären. Das würde den Aktienmarkt vor die Wand fahren lassen".

Grund seien eine Unmenge preistreibender Faktoren, die gleichzeitig auf die Wirtschaft treffen werden. Neben steigenden Ölpreisen und dem Ende der Mehrwertsteuersenkung käme die Auflösung eines extremen Nachfragestaus hinzu. Die Sparquote in Deutschland sei 2020 von sonst rund 10 Prozent auf 16,3 Prozent gestiegen. Dies seien rund 110 Milliarden Euro mehr als im Vorjahr. Eine explodierende Nachfrage, die auf ein schwaches Angebot treffe, sei aber genau der Stoff, aus dem steigende Preise entstünden. Die Gefahr des Jahres 2021 sei, dass dies Notenbanken zu sofortigem Handeln zwinge. Da zudem steigende Renditen den Anleihemarkt zur Aktienalternative machen, dürfte die Quittung ein kräftiger Kurseinbruch bei Aktien sein.

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January 22, 2021 07:34 ET (12:34 GMT)