Von Manuel Priego Thimmel

FRANKFURT (Dow Jones)--Es ist sicherlich zu früh, Entwarnung an der Inflationsfront zu geben. Die Preisdaten weisen zuletzt allerdings in die richtige Richtung. Das sind positive Nachrichten für die Börsen, ist mit den fallenden Inflationszahlen doch zugleich die Erwartung gestiegen, dass die Zentralbanken das Tempo im Zinserhöhungszyklus verlangsamen werden. Die Aktienmärkte haben auf die Entwicklung denn auch mit kräftig gestiegenen Kursen reagiert, sind zuletzt aber ins Stocken geraten. Grund dafür ist die Unsicherheit, wie stark die von den Volkswirten prognostizierte Rezession ausfallen wird.

Der Nachrichtenfluss an den Börsen hat sich aufgehellt. So scheint die Inflation in der Eurozone den Höhepunkt überschritten zu haben. Die jährliche Inflationsrate im Währungsraum ist im November auf 10,0 von 10,6 Prozent im Oktober gesunken. Volkswirte hatten eine Rate von 10,4 Prozent vorhergesagt. Die meisten Beobachter gehen nun davon aus, dass die EZB auf ihrer Dezember-Sitzung die Leitzinsen nur noch um 50 Basispunkte (Bp) statt wie zuletzt um 75 Bp anheben wird. In den USA haben die jüngsten Aussagen von US-Notenbank-Präsident Jerome Powell derweil die Erwartung gestützt, dass die Fed auf der kommenden Sitzung die Zinsen ebenfalls nur noch um 50 Bp anheben wird.


   Rezession dürfte mit zeitlicher Verzögerung einsetzen 

Auch die Marktprognosen für den Zinsgipfel, also das höchste Zinsniveau im laufenden Zinszyklus, sind gefallen. Laut der Deutschen Bank wird nun eine Terminal Rate in den USA von 4,86 Prozent eingepreist nach zuvor rund 5 Prozent. Das ist zwar nicht als dramatischer Rückgang zu bezeichnen, wichtig aus Börsensicht ist allerdings, dass die Richtung stimmt.

Nach einer imposanten Rally ist die Aufwärtsbewegung an den Aktienmärkten zuletzt ins Stocken geraten. Die seit Jahrzehnten nicht mehr so stark angehobenen Leitzinsen werden nicht spurlos an der Wirtschaft vorbeiziehen, wenn auch mit zeitlichem Abstand. Der milde Verlauf des Winters hat Gasrationierungen und damit einen Einbruch der deutschen Wirtschaft unwahrscheinlicher gemacht. "Mancher hofft sogar darauf, dass die Wirtschaft überhaupt nicht schrumpfen wird, die Rezession also ausfällt", so die Commerzbank. Das glauben die Analysten aber nicht: Mit der üblichen Verzögerung dürfte die geldpolitische Straffung im kommenden Jahr die Wirtschaft dies- und jenseits des Atlantiks schrumpfen lassen.


   Hoher Auftragsbestand stellt Sicherheitspuffer für deutsche Unternehmen dar 

Dass die Geldpolitik dies- und jenseits des Atlantiks durch diese Zinserhöhungen deutlich gestrafft worden ist, zeigt laut der Commerzbank die Entwicklung der Geldmengen. Hatten diese im vergangenen Jahr noch mit zweistelligen Raten zugelegt, hat sich die Zuwachsrate insbesondere in den USA in den vergangenen Monaten rasant der Nulllinie angenähert.

"Die deutsche Industrie bekommt mehr und mehr den weltweiten Abschwung zu spüren", so die Commerzbank. Zwar dürften ihre Auftragseingänge im Oktober, die am Dienstag veröffentlicht werden, leicht zugelegt haben, was deren Einbruch im Vormonat aber kaum wettmachen dürfte. Noch zehren die Unternehmen von ihren riesigen Auftragsbeständen, was (noch) einen wichtigen Sicherheitspuffer darstellt. Am Mittwoch stehen Daten zur deutschen Industrieproduktion zur Veröffentlichung an. Nach einem Wachstum von 0,6 Prozent, gehen die Analysten nun von einem Rückgang von 1,5 Prozent im Oktober aus, auch weil die energieintensiven Sektoren ihre Produktion weiter heruntergefahren haben.


   Anleger haben Angst, auf dem falschen Fuß erwischt zu werden 

Die Anleger halten sich in dem Umfeld zurück und harren der weiteren Entwicklung. "Ab 14.500 Punkten lässt das Kaufinteresse (im DAX) im Moment deutlich nach", sagt QC Partners. Die Erwartung, mit Käufen auf diesem Niveau schnell gutes Geld verdienen zu können, sei einfach nicht da. Hinzu komme der saisonale Aspekt: "So kurz vor Weihnachten wollen sich viele nicht mehr in großem Stil neu positionieren. Die Angst, kurz vor dem Jahresende auf dem falschen Fuß erwischt zu werden, ist einfach zu groß."

Nicht wenige Aktienstrategen stellen sich mit Eintritt der erwarteten Rezession auf eine erneute Schwächephase an den Börsen im ersten Quartal des kommenden Jahres ein. Die Schwere des Rückschlags an den Aktienmärkten sollte von der Schwere der Rezession und von der Höhe des Rückgangs der Unternehmensgewinne abhängen. So sieht etwa die Societe Generale den DAX im ersten Quartal auf 13.500 Punkte fallen, um dann bis Jahresende bis auf 15.000 Punkte zu steigen, der Euro-Stoxx-50 wird in einer Spanne zwischen 3.700 bis 4.200 gesehen. Sollte es so kommen, werden sich taktische Aufstockungsmöglichkeiten für die Anleger eröffnen. Diese gilt es zu nutzen.

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December 02, 2022 05:25 ET (10:25 GMT)