Von Avi Salzman

LONDON (Dow Jones)--Europa will russische Öllieferungen auf dem Seeweg verbieten und die Preise, zu denen Moskau sein Öl anderswo verkaufen kann, ab Anfang Dezember begrenzen. Händler befürchten allerdings, dass dieser Schritt den Ölmarkt erschüttern wird. Das größte Risiko ist, dass die Ölpreise in die Höhe schnellen. Wenn Russland kein Rohöl mehr verkaufen kann oder sich weigert, es zu den genehmigten Preisen zu verkaufen, müssen sich die Käufer um eine immer geringere Menge Öl streiten, die weltweit zum Verkauf steht - und sie werden dafür mehr bezahlen müssen. Es gibt jedoch ein überzeugendes Argument dafür, dass das Verbot auch den gegenteiligen Effekt haben könnte, solange Russland einen Weg findet, sein gesamtes sanktioniertes Öl an andere Käufer zu vertreiben.


   Sanktioniertes Öl wird mit Preisnachlass verkauft 

Um zu verstehen, warum das so ist, muss man sich vor Augen führen, wie Sanktionen auf dem Ölmarkt in der Regel wirken. Immer mehr Öl in der Welt ist von Sanktionen betroffen. Diese Sanktionen haben in den meisten Fällen nicht dazu geführt, dass das gesamte Öl aus sanktionierten Ländern wie Iran und Venezuela vom Weltmarkt verschwunden ist. Sie haben diese Länder lediglich gezwungen, ihr Öl mit einem Preisnachlass zu verkaufen. Die Käufer verlangen Rabatte, wenn sie das Risiko eingehen, von einem sanktionierten Regime Öl zu erwerben. Und die gleiche Dynamik hat sich in den vergangenen Monaten mit Russland entwickelt.

Indien und China kaufen gerne russisches Öl, das die USA und Europa nicht annehmen, aber sie verlangen einen großen Abschlag von den Weltmarktpreisen - manchmal sogar bis zu 25 Prozent. "Derzeit sind 20 Prozent des weltweiten Öls sanktioniert", erläutert Energiehändlerin Rebecca Babin von CIBC Private Wealth US. Diese würden alle mit verschiedenen Abschlägen gehandelt. Die Akteure dürften versuchen, sich gegenseitig zu unterbieten. "Ich neige zu der Annahme, dass WTI und Brent umso stärker unter Druck geraten, je mehr verbilligte Fässer verfügbar sind", so Babin. .


   Russisches Öl wird nach Asien umgeleitet 

Die entscheidende Frage lautet, ob das russische Öl, das Europa verbietet, in andere Länder geht oder ganz vom Markt genommen wird, so dass Russland gezwungen ist, seine Ölproduktion zu drosseln. Vor dem Krieg exportierte Russland etwa 1,5 Millionen Barrel Rohöl pro Tag per Schiff nach Europa. Heute exportiert Russland nur noch etwa 600.000 Barrel nach Europa, und der Rest konnte von Europa nach Asien umgeleitet werden. Die Frage ist nun, ob die asiatischen Länder die restlichen Barrel aufnehmen können.

Wenn nicht, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Ölpreise nach Anfang Dezember steigen, da die Nachfrage das Angebot übersteigt. Sollten die asiatischen Nationen den Kauf aber stemmen können, wird die gleiche Anzahl von Barrel im Umlauf sein, nur zu niedrigeren Preisen. Sofern große Ölimporteure wie China und Indien ein System zur Abnahme von russischem Öl entwickelten, werden sie "wahrscheinlich eher auf diese schmutzigen Fässer zurückgreifen" als Brent-Rohöl zu höheren Preisen zu kaufen, so Babin. Je mehr Sanktionen verhängt werden, desto mehr Käufer dürften diese Option ins Kalkül ziehen. Und die Verkäufer von Brent- und WTI-Rohöl müssen möglicherweise zunehmend mit diesen "schmutzigen" Fässern konkurrieren. Der jüngste Einbruch des Ölpreises könnte sich verlängern.

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November 30, 2022 07:50 ET (12:50 GMT)