Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Wie lange und wie stark die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Zinsen noch erhöhen muss, ist nicht nur die Preisfrage, sondern auch eine Frage des Preises - genauer: der Verbraucherpreise. Die Verbraucherpreisdaten für Mai werden ein wichtiger "Datenpunkt" sein, wenn der EZB-Rat am 15. Juni über eine Zinsanhebung und die Kommunikation seiner weiteren Absichten entscheidet. Eurostat veröffentlicht diese Zahlen am Donnerstag (11.00 Uhr), aber zuvor kommen bereits Preisdaten aus Deutschland, Spanien und Frankreich. Auch nicht ganz unwichtig: Die Entwicklung von Real- und Tariflöhnen in Deutschland im ersten Quartal sowie die Kreditvergabe im April. Die Woche endet mit dem US-Arbeitsmarktbericht für Mai.

Die EZB hat ihre Zinsen seit Sommer vergangenen Jahres um 375 Basispunkte angehoben, und die so genannten geldpolitischen Tauben im Rat finden nun, dass es eigentlich genug ist. Noch aber haben die so genannten Falken die Oberhand - beziehungsweise: Es gibt genügend Ratsmitglieder, die die Inflation immer noch viel zu hoch finden -, so dass niemand ernsthaft bezweifelt, dass die EZB ihre Zinsen im Juni und Juli erneut um 25 Basispunkte anheben wird.

Einer echten Forward Guidance hat die EZB abgeschworen. Stattdessen hat sie genau erläutert, wovon sie ihre Entscheidungen abhängig machen wird. Und das sind neben dem Inflationsausblick (Stabsprojektionen) und der Transmission der Geldpolitik (Finanzierungsbedingungen, Kreditvergabe) natürlich die Preise.


   Inflationsrate dürfte im Mai deutlich gesunken sein 

Die von Dow Jones Newssires befragten Volkswirte erwarten, dass die Verbraucherpreise gegenüber dem Vormonat um 0,2 Prozent gestiegen sind und sehen die Jahresteuerung bei nur noch 6,4 (April: 7,0) Prozent. Einige EZB-Offizielle haben zuletzt bekräftigt, dass sie die Gesamtinflationsdaten derzeit für deutlich weniger aussagekräftig halten als die Kernteuerungsdaten. Vor allem liegt das Augenmerk der Zentralbank auf den Dienstleistungspreisen, wie Vizepräsident Luis de Guindos und Ratsmitglied Klaas Knot kürzlich sagten. Für die Kernteuerung werden 5,5 (5,6) Prozent erwartet.

Wichtigste Bestimmungsgröße des Preisdrucks in diesem Sektor sind die Lohnkosten. Besonders starke Anstiege werden hier aus Italien und Spanien gemeldet. Am Dienstag und Mittwoch kommen allerdings erst mal (jeweils um 8.00 Uhr) Real- und Tariflohndaten aus Deutschland für das erste Quartal.


   Inflationsdruck auch in Deutschland rückläufig 

Die Erwartungen für die Euroraum-Inflation dürften im Laufe der Woche noch von den Preisdaten einzelner Länder beeinflusst werden: Am Mittwoch kommen Verbraucherpreisdaten aus Spanien (9.00 Uhr) und Deutschland (14.00), wobei bereits um 7.30 Uhr mit Nordrhein-Westfalen das erste von fünf deutschen Bundesländern mit eigenen Daten herauskommt. Für Deutschland wird ein Rückgang der am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) gemessenen Inflationsrate auf 6,9 (7,6) Prozent erwartet. Frankreich veröffentlicht am Donnerstag (8.45 Uhr), ehe um 11.00 Uhr schließlich Eurostat dran ist.

Am Dienstag (10.00 Uhr) informiert die EZB über die Entwicklung der Kreditvergabe im April. Die Unternehmens-, Immobilien- und Konsumkredite weisen seit Monaten sinkende, aber noch positive Wachstumsraten auf. Diese Entwicklung dürfte im Interesse der EZB sein, die ja Wachstum und Inflation bremsen will.


   US-Beschäftigung wächst deutlich langsamer 

Die Woche endet mit einem Bericht, der mit Blick auf die US-Geldpolitik sehr wichtig ist - dem Arbeitsmarktbericht für Mai. Ökonomen erwarten nach dem Factset-Konsens für Mai ein Stellenwachstum von 180.000 (April: 253.000) und einen Anstieg der Arbeitslosenquote auf 3,5 (3,4) Prozent. Für die Stundenlöhne wird ein Zuwachs um 0,4 (0,5) Prozent gegenüber dem Vormonat prognostiziert. Für den Herbst wird eine Rezession in den USA für wahrscheinlich gehalten, weil die volle Belastung aus den Zinserhöhungen erst dann spürbar sein wird.

Ökonomen erwarten, dass die US-Notenbank den Leitzins im Juni zum ersten Mal seit Beginn der Zinserhöhungen im März 2022 konstant hält. Aber eine erneute Zinsanhebung kann nicht ausgeschlossen werden, wenn sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht deutlich entspannt.

(Mitarbeit: Andreas Plecko)

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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May 26, 2023 09:45 ET (13:45 GMT)