(mit Ngozi Okonjo-Iweala)

GENF (dpa-AFX) - Mitten in der tiefsten Krise ihrer Geschichte und den verheerenden Folgen der Corona-Krise für den Welthandel sucht die Welthandelsorganisation (WTO) einen neuen Generaldirektor. Der Kandidat aus Mexiko, Jesús Seade Kuri (73), kündigte am Mittwoch energisches Eingreifen an. "Die WTO müsste erfunden werden, wenn es sie noch nicht gäbe", sagte die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala (66), einst Finanzministerin von Nigeria und Vizechefin der Weltbank.

Die beiden waren die ersten von acht Kandidaten, die sich diese Woche bei den 164 WTO-Mitgliedern in Genf vorstellen. Die Entscheidung fällt zwischen September und November.

Die WTO ist in der Krise, weil sowohl der Graben zwischen den Großen

- USA, China, EU - als auch zwischen Industrie- und

Entwicklungsländern wächst. Die USA haben ein Kernstück der Organisation, die Streitschlichtung, praktisch lahmgelegt, indem sie die Ernennung neuer Richter verhindert haben. Sie beschweren sich über angebliche Benachteiligung in der WTO und verlangen Reformen, ohne konkret zu werden. US-Präsident Donald Trump hat mit dem Austritt gedroht.

Die Organisation habe seit Jahren keine neuen Handelsverträge zustande gebracht, sagte Seade. Er war nach der WTO-Gründung 1995 Vize-Chef der WTO und ist heute Chefverhandler Mexikos in Handelsfragen. Er werde neue Impulse geben. "Natürlich verhandeln die Mitgliedsländer unter sich, aber der Generaldirektor muss mit allen reden. Ich würde meine Rolle darin sehen, alternative Ideen zu präsentieren, um Prozesse wieder in Gang zu bringen", sagte Seade.

Der derzeitige Chef, Roberto Azevêdo aus Brasilien, tritt Ende August ein Jahr früher als geplant zurück. Er war für seine Zurückhaltung bekannt und hatte stets betont, dass vor allem die Mitgliedsländer sich zusammenraufen müssten.

Okonjo-Iweala sagte, das multilaterale Handelssystem habe Millionen Menschen aus der Armut geholfen. "Die WTO hat allen Ländern etwas gebracht, auch den USA", meinte sie. "Lasst uns reparieren, was nicht funktioniert. Wir brauchen ein Handelssystem mit klaren Regeln."

Andere Kandidaten sind: der Ägypter Abdel-Hamid Mamdouh, ein Ex-Abteilungsdirektor der WTO, der frühere Außenminister der Republik Moldau, Tudor Ulianovschi, Handelsministerin Yoo Myung Hee aus Südkorea, die frühere kenianische WTO-Botschafterin Amina Mohamed, der ehemalige saudische Wirtschaftsminister Mohammad Maziad Al-Tuwaijri und der britische Ex-Handelsminister Liam Fox.

Wer kann die WTO wieder auf Kurs bringen? "Der Generaldirektor hat keine Macht", sagte Peter Ungphakorn, ein Handelsexperte und früherer Sprecher der WTO, im Schweizer Radio. "Wenn es WTO-Reformen geben soll, muss das von den Mitgliedsländern kommen. Ein Generaldirektor kann ein wirksamer Vermittler sein, der die Länder zusammenbringt, aber die Länder müssen erst mal den Willen und Ideen haben."

Die WTO ist keine Weltpolizei, die den internationalen Handel reguliert. Es ist eine Regierungsorganisation, deren Mitglieder sich auf Regeln für den freien Welthandel geeinigt haben. Die Regierungen haben die Macht, sie entscheiden im Konsens, und nichts passiert gegen das Veto eines Mitglieds./oe/DP/he