Heute steht die Abstimmung des EP über Ursula von der Leyen im Fokus. Frau von der Leyen gab ihren Rückzug vom Amt der deutschen Verteidigungsministerin losgelöst vom heutigen Votum gestern bekannt. Damit verzichtet sie in Berlin auf eine Karriere-Versicherung und verdeutlicht ihre Fokussierung auf Europa. Ob dieses Signal die gewünschte Wirkung entfalten wird, werden wir heute im Laufe des Abends erfahren.

Fakt ist, dass das Europäische Parlament durch die Uneinigkeit, einen der zuvor benannten Spitzenkandidaten gegenüber der Kommission zu unterstützen, das aktuelle Dilemma erst heraufbeschworen hat.

Die Position der Parteien, die jetzt Parteiinteressen in Brüssel extravagant zu leben versuchen und dabei Verantwortung für Kontinentaleuropa negieren, ist mehr als fragwürdig. Ob diese Form der Extratouren wirklich hilft Frau Barley, Herr Giegold?

Es stehen aber auch Irritationen seitens Frau von der Leyens im Raum. Sie wäre bereit, das Brexit-Austrittsdatum erneut zu verschieben. Sie betonte gegenüber dem EP, dass der Brexit-Vertrag mit der EU der beste und einzig mögliche Vertrag für einen geordneten Austritt sei. Sie würde sich um die bestmöglichen Beziehungen mit dem UK bemühen. Sollte mehr Zeit nötig sein und sollten gute Gründe vorgebracht werden, würde sie eine weitere Verschiebung befürworten.

In der Tat wäre ein geordneter Rückzug des UK Ziel führend, aber regelbasiert, nicht auf Rosen gebettet, die vom Rest der EU zu zahlen wären!

Frau von der Leyen sollte sich, sofern Sie Chefin der Kommission würde, besser auf das politische Gespür Frankreichs als Deutschlands in der Frage einer möglichen Verlängerung des Austrittsprozesses verlassen.

Sie sollte sich auch mit Herrn Barnier intensiv austauschen, um über die zum Teil schwer tolerierbare britische Art und Weise (Egozentrik, Form, Wissen, Grundverständnis, Inhalt) im bisherigen Verlauf des Austrittsverhandlungen informiert zu sein.

Fazit:  Eine weitere Verlängerung sollte bei dem notorisch unzuverlässigen Johnson keine ernste Option darstellen.

Kontinentaleuropa muss sich wegen des Brexits nicht sorgen. Je härter er ausfiele, desto schneller würden Produktionsstätten aus dem UK nach Kontinentaleuropa verlagert. Dann exportierten wir weniger in das UK, aber dafür fände die Wertschöpfung und damit verbunden die Lohn-, Steuerzahlungen in Kontinentaleuropa statt.

Der Brexit wird zur Folge haben, dass der Kapitalstock Kontinentaleuropas wachsen wird, während der Kapitalstock des UK schrumpfen wird. Am Kapitalstock, der für das Leistungspotential und den Leistungsprozess eines Wirtschaftsraumes steht, macht sich das Potentialwachstum und damit das Wachstum des Wohlstands einer Gesellschaft als auch die Potenz und Belastbarkeit des Sozialsystems fest.

Nein, für Angst außerhalb des UK gibt es in Europa keinen Raum, es sei denn, dass die EU zum Selbstbedienungsladens Londons verkäme. Das ist das größte Risiko. Es würde das Selbstverständnis der EU und der Menschen in der EU untergraben, da die Interessen des UK und der Bürger des UK über die Interessen der europäischen Solidargemeinschaft der EU gestellt würden. Es wäre ein Angriff auf die Bürger der EU, der auch so empfunden werden würde!

Frau von der Leyen hätte an der Spitze der EU-Kommission die Interessen Kontinentaleuropas zu wahren, nicht die des UK, das nie vollständig in der EU angekommen ist.

Aus den USA erreichte uns gestern ein positiver Datensatz: Der NY Fed Manufacturing Index legte per Berichtsmonat Juli sportlich von zuvor -8,60 auf +4,30 Punkte zu. Die Prognose lag bei +2,0 Zählern.

Zusammenfassend ergibt sich ein Szenario, das den Euro gegenüber dem USD favorisiert. Ein Unterschreiten der Unterstützungszone 1.1100 – 30 negiert den positiven Bias des Euros.
Viel Erfolg!

Gastbeitrag von Folker Hellmeyer, Chefanalyst SOLVECON INVEST

www.solvecon-invest.de

Herr Hellmeyer hat am Finanzmarkt ursprünglich als Devisenhändler begonnen. Für Deutsche Bank und Helaba war er in Hamburg, London und Frankfurt tätig. Von 2002 bis 2017 war Herr Hellmeyer Chefanalyst der Bremer Landesbank und hat mit klaren Worten die Entwicklungen an den Börsen und im Finanzmarkt¬geschehen kommentiert.