Gaza-Stadt/Jerusalem (Reuters) - Mit Luftangriffen und Bodeneinsätzen treibt Israel seine Offensive im Gazastreifen trotz internationaler Aufrufe zu mehr Rücksichtnahme auf Zivilisten voran.

"Die Lage wird von Stunde zu Stunde schlimmer", sagte der Gesandte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für die Palästinensischen Gebiete, Richard Peeperkorn, am Dienstag. "Überall wird verstärkt bombardiert, auch hier in den südlichen Gebieten, in Chan Junis und sogar in Rafah." Nach Angaben von Bewohnern und Journalisten, die vor Ort waren, wurden auch Gebiete getroffen, die das israelische Militär als sichere Bereiche ausgewiesen hatte. "Wir machen jetzt mit der zweiten Phase weiter. Eine zweite Phase, die militärisch schwierig sein wird", sagte ein israelischer Regierungssprecher. Hinsichtlich der Minderung des Leids für die Zivilbevölkerung sei Israel offen für "konstruktives Feedback". Dieses müsse aber im Einklang stehen mit dem Ziel, die radikal-islamische Hamas zu zerstören.

Der Sprecher ging nicht genauer auf einen Medienbericht ein, wonach Israels Militär offenbar auch Vorkehrungen zur Flutung des weit verzweigten Tunnelsystems der Hamas in dem Küstengebiet getroffen hat. Das "Wall Street Journal" meldete unter Berufung auf US-Behördenvertreter, Israel habe ungefähr Mitte November ein System bestehend aus mindestens fünf Pumpen fertiggestellt, mit denen sich Tausende Kubikmeter Wasser pro Stunde bewegen ließen. Die Schächte könnten so binnen einiger Wochen geflutet werden. Es sei allerdings nicht klar, ob Israel die Pumpen nutzen werde, insbesondere bevor alle von der Hamas gehaltenen Geiseln frei seien. Die Palästinenser-Organisation hatte erklärt, ihre Gefangenen in "sicheren Orten und Tunneln" versteckt zu haben. Angesprochen auf den Bericht sagte der israelische Regierungssprecher, die Streitkräfte würden eine Reihe von technischen Maßnahmen anwenden. Details nannte er nicht.

Der Krieg begann, nachdem Hamas-Kämpfer am 7. Oktober im Süden Israels bei einem Überraschungsangriff ein Massaker angerichtet hatten: Sie töteten nach israelischen Angaben 1200 Menschen und nahmen etwa 240 Geiseln. Mittlerweile haben die israelischen Streitkräfte die nördliche Hälfte des Gazastreifens weitgehend unter ihre Kontrolle gebracht. Ende November begann dann eine einwöchige Waffenruhe, um einen Teil der Geiseln gegen palästinensische Gefangene auszutauschen und dringend benötigte Hilfslieferungen in den dicht besiedelten Gazastreifen zu bringen. Als bis vergangenen Freitag keine weitere Verlängerung der von Katar und Ägypten vermittelten Feuerpause zustande kam, wurden die Kämpfe wieder aufgenommen und Israels Militär stieß rasch Richtung Süden vor, wo die Bevölkerung um rund eine Million Flüchtlinge angewachsen ist, die von Israel zum Verlassen des nördlichen Gazastreifens aufgefordert worden waren.

Katar forderte den UN-Sicherheitsrat auf, Israel zurück an den Verhandlungstisch zu zwingen. "Es ist beschämend für die internationale Gemeinschaft, es zuzulassen, dass dieses abscheuliche Verbrechen fast zwei Monate lang andauert", sagt Katars Emir, Scheich Tamim bin Hamad al-Thani, in Doha während eines Gipfeltreffens des Golf-Kooperationsrates. In dieser Zeit würden "vorsätzlich unschuldige Zivilisten, darunter Frauen und Kinder, getötet".

"KEIN ORT IN GAZA IST SICHER"

Wie prekär die Lage für die Zivilbevölkerung ist, schilderte einmal mehr der WHO-Gesandte Peeperkorn. Es gebe im Gazastreifen viel zu wenig Versorgungsgüter, sagte er. Außerdem würden medizinische Notfall-Teams benötigt. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (Unicef) beschrieb die von Israel als sicher ausgewiesenen Zonen als "winzige Flecken Ödland" ohne Lebensmittel, Unterkünfte, Medikamente und sanitäre Einrichtungen.

"Wir haben es wiederholt gesagt, wir sagen es noch einmal: Kein Ort ist sicher in Gaza, weder im Süden noch im Südwesten, weder in Rafah (an der ägyptischen Grenze) noch in irgendeiner anderen einseitig als solche bezeichneten 'sicheren Zone'", erklärte der Leiter des Palästinenser-Hilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA), Philippe Lazzarini.

UN-Generalsekretär Antonio Guterres sei durch die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten "extrem alarmiert", sagte UN-Sprecher Stephane Dujarric. Guterres appellierte an Israel, der Zivilbevölkerung noch mehr Leid zu ersparen und weitere Handlungen zu vermeiden, die die ohnehin schon schlimme humanitäre Lage im Gazastreifen weiter verschlechtern würden. Die USA hatten Israel als dessen engster Verbündeter bereits zuvor aufgefordert, mehr für den Schutz der Zivilbevölkerung im südlichen Teil des Gazastreifens zu tun als bei der Militäroffensive im Norden. Am Montag erklärte ein Sprecher des US-Außenministeriums, man erwarte von Israel, dass es als sicher identifizierte Zonen nicht angreife.

(Geschrieben von Christian Rüttger, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von Arafat Barbakh und James Mackenzie