ISTANBUL (dpa-AFX) - Immer weiter steigt die Opferzahl im Erdbebengebiet an der türkisch-syrischen Grenze - und nach wie vor werden viele Menschen unter den Trümmern vermutet. Insgesamt liegt die Zahl der Toten inzwischen nach Angaben vom Dienstagmorgen bei fast 5000. Bisherigen Informationen zufolge wurden in der Südtürkei und in Nordsyrien zudem mehr als 23 500 Menschen verletzt. Tausende Gebäude stürzten ein. Zahlreiche Länder sagten Unterstützung zu, auch aus Deutschland machten sich inzwischen Hilfsteams auf den Weg.

Am frühen Montagmorgen hatte ein Erdbeben den Südosten der Türkei und Regionen in Syrien erschüttert. Mittags folgte in derselben Region ein weiteres Beben der Stärke 7,5. Es gab zudem Hunderte Nachbeben.

Retter in Syrien vermuten, dass noch immer Hunderte Familien unter den Trümmern begraben sind. Die Suche über Nacht sei aufgrund von Sturm und fehlender Ausrüstung nur "sehr langsam" verlaufen, hieß es von den Weißhelmen, die in den von Rebellen gehaltenen Gebieten Syriens aktiv sind. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte seien zudem auch Mediziner überfordert und könnten nicht allen Verletzten das Leben retten.

Am Dienstagmorgen berichtete eine Augenzeugin der Deutschen Presse-Agentur, im südtürkischen Hatay sei der Strom ausgefallen. Hilfe werde dringend benötigt. Die Tankstellen hätten kein Benzin mehr und es gebe kein Brot zu kaufen. Auch in der Nachbarprovinz Osmaniye sei der Strom ausgefallen, sagte eine Reporterin des Senders CNN Türk. In der südosttürkischen Metropole Diyarbakir verbrachten viele Menschen die Nacht draußen, in Schulen oder Moscheen, wie ein dpa-Mitarbeiter berichtete. "Die Menschen haben Angst, in ihre Häuser zurückzukehren." Mehrere Nachbeben seien zu spüren gewesen und es sei bitterkalt. Die Zelte der Katastrophenschutzbehörde Afad seien nicht beheizt und reichten nicht aus.

In Syrien haben die verheerenden Erdbeben nach UN-Angaben vor allem Menschen getroffen, die ohnehin schon schutzlos unter desaströsen Bedingungen lebten. Viele Binnenflüchtlinge, die vor der Katastrophe in baufälligen Unterkünften wohnten, mussten die Nacht bei Schnee und eisigen Temperaturen im Freien verbringen, wie eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR der Deutschen Presse-Agentur am Dienstagmorgen sagte. "Bei den vielen Nachbeben und Erschütterungen hatten die Menschen Angst, in ihren Häusern zu bleiben."

Einige der betroffenen Gebiete seien zudem abgelegen und nur schwer erreichbar. Es gebe unter anderem nicht genügend Notunterkünfte, Decken und warme Kleidung für die Erdbebenopfer. In dem Bürgerkriegsland leben rund 6,8 Millionen Binnenvertriebene.

Im Katastrophengebiet herrschen Temperaturen um den Gefrierpunkt. Viele Menschen können nicht in ihre Häuser zurück, weil diese eingestürzt sind oder eine Rückkehr angesichts der zahlreichen Nachbeben zu gefährlich wäre.

Die Türkei bat ihre Nato-Partner unter anderem um drei für extreme Wetterbedingungen geeignete Feldkrankenhäuser und Personal dafür.

Der türkische Vizepräsident, Fuat Oktay, teilte am späten Montagabend mit, dass etwa 8000 Verschüttete aus den Trümmern gerettet worden seien. Es wurden demnach sogar mehr als 20 Stunden nach dem ersten Beben weiterhin Menschen lebend geborgen. Allerdings schwinden die Chancen mit jeder Minute.

In dem betroffenen Bereich habe es seit etwa 900 Jahren kein so großes Beben mehr gegeben, sagte die Geologin Charlotte Krawczyk vom Geoforschungszentrum Potsdam der ARD. Ob und wann weitere große Beben folgen, könne nicht vorhergesagt werden.

Griechenland schickte trotz der Spannungen mit der Türkei am Montag eine Rettungsmannschaft mit Spürhunden ins Erdbebengebiet. Das Technische Hilfswerk (THW) bereite die Lieferung von Notstromaggregaten, Zelten und Decken vor, kündigte Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser (SPD) am Montag an. Die EU-Staaten wollen sich untereinander abstimmen. Hilfszusagen kamen etwa auch aus Großbritannien, Indien, Pakistan, Finnland, Schweden, Russland, der von Russland angegriffenen Ukraine sowie den USA.

Eines der am schwersten vom Erdbeben betroffenen Gebiete ist die Region Idlib in Syrien, die von Rebellen gehalten wird. Dies dürfte dort die staatliche Nothilfe erschweren. Nach mehr als elf Jahren Bürgerkrieg kontrollieren Regierungstruppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad wieder rund zwei Drittel des Landes./jam/DP/jha/