Berlin (Reuters) - Als die AfD vor zehn Jahren gegründet wurde, wurde sie von den etablierten Parteien belächelt.

Denn die Euro- und späteren Migrations-Gegner waren zwar lautstark, konnten aber in die politische Dynamik nicht eingreifen. Doch heute liegt die Rechtspartei laut Umfragen in allen fünf ostdeutschen Flächenländern über 20 Prozent Zustimmung. Und auch wenn keine der anderen Parteien mit der AfD koalieren will: "Die Partei hat sich festgesetzt, vor allem im Osten", sagt der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfed Güllner, zu Reuters. Ähnlich sieht es Julia Reuschenbach von der Freien Universität Berlin. "In Ostdeutschland beobachten wir, dass die AfD dort anteilig eine gefestigte Stammwählerschaft aufweist, also Menschen, die eine Bindung zur Partei haben und diese aus Überzeugung wählen." Insgesamt hat sich die Statik der Parteienlandschaft in Deutschland dadurch geändert - und der Ton der Auseinandersetzung entscheidend verschärft.

Dabei gilt die AfD immer noch als politischer Paria. Eine CDU-Sprecherin betonte auch am Montag, dass es bei dem Parteitagsbeschluss der CDU bleibe, dass mit der AfD nicht auf Europa-, Bundes- und Landesebene zusammengearbeitet oder koaliert wird. Da die Abgrenzung als strategisch wichtig gilt, hat das CDU-Präsidium beschlossen, den früheren Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen aus der Partei zu werfen, weil diesem ein ständiges Blinken an den politisch rechten Rand vorgeworfen wird. Aber die Abgrenzung ist nicht so einfach, vor allem auf kommunaler Ebene nicht. Die Berliner Politologin Reuschenbach verweist auf gemeinsame Abstimmungen etwa im Kreistag Bautzen oder auch ein gemeinsames Votum von CDU, FDP und AfD im Thüringischen Landtag.

Auf kommunaler Ebene sind selbst SPD und Grüne nicht davor gefeit, dass es gemeinsame Voten gibt. Durch die punktuelle Zusammenarbeit erfahre die AfD eine "gewisse Salonfähigkeit", meint Reuschenbach. Sie sieht den schrittweisen Abbau von Hemmschwellen, auch wenn etwa die CDU-Spitze in Berlin dies gar nicht wolle. Auf der anderen Seite betonen AfD-Führungsmitglieder wie Fraktionschefin Alice Weidel immer wieder, sie gehe davon aus, dass die CDU irgendwann ohnehin mit der Partei koalieren werde. Weidel weiß, dass die AfD als Dauer-Protest- oder Empörungspartei auch wieder an Zustimmung verlieren kann.

Dabei hält Reuschenbach die Abgrenzung der Anderen für genauso wichtig wie Forsa-Chef Güllner. "Jede Partei, die mit der AfD zusammenarbeiten würde, würde selbst massiven Schaden nehmen", glaubt Güllner.

PROBLEM FÜR DIE UNION - UND ALLE MITTE-PARTEIEN

Das Problem besteht vor allem für die Union: Die Abgrenzung nach rechts ist schon deshalb schwierig, weil Parteiausschlussverfahren sehr schwierig durchzusetzen sind. Maaßen, der einen freiwilligen Austritt aus der CDU ablehnt, könnte also ein Dauerstachel im Fleisch der CDU sein wie einst der frühere Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin für die SPD. Dazu kommt, dass die AfD nach Einschätzung von Reuschenbach im Osten mittlerweile fester verankert ist. Auch der Forsa-Chef sieht eine gewisse Stabilität, was sich an den mittlerweile dauerhaft über 20 Prozent liegenden Umfragewerten ablesen lässt. Nach der Ablehnung des Euro, der Migrationskrise 2015 und den Corona-Proteste sorgt nun eine im Osten viel stärkere Ablehnung der Waffenlieferungen an die Ukraine dafür, dass die Rechtspopulisten den Dauerprotest im Osten abschöpfen können - zumal die Linke durch den Ministerpräsidentenposten von Bodo Ramelow in Thüringen stärker als Establishment gilt.

"Die AfD hat es zudem anders als rechtsradikale Parteien vor ihr geschafft, wirklich das gesamte rechtsradikale Potenzial zu versammeln und an sich zu binden", sagt der Forsa-Chef. Die Anhängerschaft sei deshalb auch weitgehend immun gegen parteiinterne Konflikte oder Skandale. Allerdings warnt Güllner vor einer Überhöhung: Etwa bei den Landratswahlen im Sachens habe sich gezeigt, dass die Partei eben doch nicht so stark vor Ort verankert sei. "Zulauf bekommen sie eher bei abstrakten, ideologischen Themen - aber nicht, wenn es darum geht, konkrete Probleme zu lösen", meint Güllner.

"Die Wahlforschung zeigt zudem, dass etwa der Versuch der Union, mit populistischer Sprache oder ähnlichen Forderungen AfD-Wählerinnen und -Wähler zurückzuerobern, nicht verfängt", sagt Politologin Reuschenbach. "Die Wählenden geben ihre Stimme am Ende zumeist dem 'Original', also der AfD."

Die dauerhafte Stärke der AfD ist vor allem im Osten ein Problem für alle politischen Kräfte geworden. Denn wenn fast ein Viertel der Stimmen auf eine Partei fällt, mit der niemand koalieren will, verengen sich die Bündnisoptionen für alle anderen. Dies hat etwa in Sachsen-Anhalt dazu geführt, dass dort ein Bündnis aus CDU, SPD und FDP (Deutschland-Koalition) und in Sachsen eines aus CDU, SPD und Grünen (Kenia-Koalition) geben musste. Da SPD und Grüne eine Koalition mit der Linkspartei zumindest auf Landesebene nicht ausschließen, haben sie aber mehr Optionen als die CDU.

(redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

- von Andreas Rinke