Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding hat seine Prognose für den Zinskurs der Europäischen Zentralbank (EZB) geändert. Wegen des höheren Inflationsdrucks rechnet Schmieding jetzt damit, dass die EZB ihre Leitzinsen bereits im Juni (bisher: Dezember) 2023 um 25 Basispunkte anheben wird und ein zweites Mal im Dezember. Für 2024 werden drei weitere Zinsschritte erwartet.

"Eine Reihe von EZB-Ratsmitgliedern hat in den vergangenen zwei Wochen angedeutet, dass die Inflation noch länger höher bleiben könnte", schreibt Schmieding in einem Kommentar. Der Schwerpunkt der Debatte verlagere sich von den früheren Bedenken der EZB, dass mehr Menschen länger aus dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden könnten, hin zu einem wahrscheinlichen Anstieg der Lohninflation.

"Zu den strukturellen Faktoren, die auf eine weniger gedämpfte Inflation hindeuten, gehören neben dem zunehmenden Lohndruck angesichts des sich verschärfenden Arbeitskräftemangels auch eine Umlenkung der globalen Lieferketten von den billigsten zu den sichereren Quellen sowie die Kosten für die Senkung der CO2-Emissionen und weitere staatliche Eingriffe", kalkuliert der Ökonom.

Kurzfristig geht Schmieding allerdings davon aus, dass die EZB wegen der Omikron-Variante des Coronavirus versuchen wird, sich geldpolitische Flexibilität zu bewahren.

Zwar wird die EZB die Nettokäufe von Anleihen im Rahmen des Pandemiekaufprogramms PEPP seiner Meinung nach planmäßig Ende März beenden, doch rechnet Schmieding damit, dass die EZB wahrscheinlich

1. signalisieren wird, dass sie ihr Programm bei Bedarf kurzfristig verlängern oder wieder aufnehmen kann,

2. ihr Standardprogramm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) um weitere Elemente der Flexibilität ergänzen, und

3. hervorheben wird, dass sie die Reinvestition fällig werdender PEPP-Anleihen flexibel nutzen könnte - beispielsweise durch den Kauf von Anleihen belasteter Emittenten beim Auslaufen von Anleihen anderer Emittenten.

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November 29, 2021 02:16 ET (07:16 GMT)