Berlin (Reuters) - Hohe Zinsen, gestiegene Materialkosten, teure Grundstücke: Die Bundesregierung wird ihr Wohnungsbauziel nach Prognose der sogenannten Immobilienweisen angesichts eines schwierigen Umfelds künftig noch deutlicher verfehlen. "Die Krise ist tiefer, als die Baufertigstellungs- und Baugenehmigungszahlen bislang zeigen", heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Frühjahrsgutachten des Expertengremiums. Noch zehre der Wohnungsbau von Projekten, die vor den deutlichen Zinserhöhungen begonnen worden seien. Angesichts der eingebrochenen Genehmigungszahlen und unter Berücksichtigung der Bauzeiten dürften die Fertigstellungen voraussichtlich bis auf 150.000 pro Jahr sinken. Die von der Bundesregierung angestrebte Marke von 400.000 - ein zentrales Vorhaben der Ampel-Koalition - rückt damit in weite Ferne. "Mit den aktuellen Niveaus von Zinsen, Baulandpreisen, Baukosten und Mieten rechnet sich der Neubau von Wohnungen nicht", warnen die Experten. 2023 wurde die Marke Schätzungen zufolge mit etwa 270.000 bereits deutlich verfehlt.

"Wir sind in Deutschland auch beim Bauen nicht mehr wettbewerbsfähig", sagte der Präsident des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA), Andreas Mattner, in Berlin bei der Vorstellung des Gutachtens. In Deutschland fehlten bereits in diesem Jahr mehr als 600.000 Wohnungen. Bis zum kommenden Jahr steige diese Zahl auf 720.000, bis 2027 sogar auf 830.000. "Die Analyse der Experten ist nicht nur ein Wake-up-Call, sondern in einigen Punkten ein regelrechter Sirenen-Alarm", sagte Mattner. Er kritisierte hohe finanzielle Belastungen durch Steuern, Abgaben und staatliche Auflagen. Diese Staatsquote liege bei 37 Prozent der Herstellungskosten. "Es ist der Staat, der hier die fette Beute macht", sagte der ZIA-Präsident.

Hauptgrund für die Entwicklung, durch die vor allem in Metropolen immer mehr bezahlbarer Wohnraum fehlt, sind die seit dem Frühjahr 2022 gestiegenen Zinsen. "Es war ein schneller Zinsanstieg", sagte der Immobilienweise Lars Feld. Dadurch sei die zinssensible Baubranche in die Bredouille geraten. Fast schlagartig seien alle Wohnungsbauprojekte unwirtschaftlich geworden, sagte der Immobilienweise Harald Simons. Die Folge sei praktisch ein Stopp des Wohnungsbaus. "Der Wohnungsneubau befindet sich in einer tiefen Krise", sagte Simons. Eine "schwarze Null" bei Wohnungsneuentwicklungen wird dem ZIA zufolge erst bei einer Durchschnittsmiete von 21 Euro pro Quadratmeter erzielt. "Das ist nicht möglich", sagte ZIA-Präsident Mattner. "Wer also baut, geht bankrott."

Um an der Misere etwas zu ändern, schlägt der ZIA etwa ein Programm der staatlichen Förderbank KfW vor, das die Marktzinsen auf zwei Prozent reduzieren soll. Das würde bei einer Fördersumme von drei Milliarden Euro etwa 100.000 zusätzliche Wohnungen bringen. Auch ein temporärer Verzicht auf die Grunderwerbsteuer oder kommunale Abschöpfungen beim Wohnungsbau wären "der Superturbo", sagte Mattner. Die von Bundesregierung und Bundestag gewünschte steuerlichen Anreize über die degressive Abschreibung hält der Verband ebenfalls für unverzichtbar. Dies ist Teil des sogenannten Wachstumschancengesetzes, das aber im Bundesrat auf Widerstand vor allem der Union stößt.

"ABSOLUTE REKORDSUMME"

Bundesbauminister Klara Geywitz setzt darauf, dass der Wohnungsbau wieder anspringt und verwies auf staatliche Förderungen. Zudem seien die Zinsen wieder gesunken, während sich bei Baumaterialien die Preise normalisiert hätten und die realen Einkommen steigen dürften. Der Bund investiere bis 2027 18 Milliarden Euro in den sozialen Wohnungsbau. "Das ist eine absolute Rekordsumme", sagte Geywitz.

Deutschland ist mit seinen Problemen auf dem Immobilienmarkt nicht alleine. In Europa würden die Investitionen in neue Wohngebäude 2026 um 6,4 Prozent niedriger ausfallen als 2023, wie das Münchner Ifo-Institut mitteilte. Es verwies auf Prognosen der Forschergruppe Euroconstruct, der das Ifo-Institut angehört. In Europa wird die Zahl der fertiggestellten Wohnungen demnach bis 2026 nur noch bei gut 1,5 Millionen Einheiten liegen - ein Minus von 13 Prozent gegenüber 2023. Besonders schwierig ist die Lage in Schweden mit einem Minus von 47 Prozent. Als Gründe dafür gelten stark gestiegenen Baukosten, teure Kredite sowie weniger finanzielle Spielräume der Privathaushalte, wie Ifo-Experte Ludwig Dorffmeister sagte.

(Bericht von Rene Wagner und Christian Krämer, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)