Berlin (Reuters) - Die von Materialengpässen geplagte deutsche Wirtschaft hat im November kein klares Signal für einen Aufschwung gesendet: Die Produktion schrumpfte trotz prall gefüllter Auftragsbücher überraschend, während die Exporte wegen der starken Nachfrage aus den USA und der EU unerwartet zulegen konnten.

Die Beeinträchtigungen durch Lieferengpässe dürften Experten zufolge auch in den kommenden Monaten anhalten. "Nach deren Auflösung ist - angesichts voller Auftragsbücher - mit einem dynamischen Wachstum zu rechnen", sagte das Bundeswirtschaftsministerium voraus.

Industrie, Bau und Energieversorger stellten zusammen 0,2 Prozent weniger her als im Vormonat, wie das Ministerium am Freitag mitteilte. Von Reuters befragte Ökonomen hatten dagegen mit einer Zunahme von 1,0 Prozent gerechnet. Im Oktober war die Produktion noch um 2,4 Prozent gestiegen. Sie liegt aktuell immer noch um 7,0 Prozent niedriger als im Februar 2020, dem Monat vor dem Beginn der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie in Deutschland.

Überraschend gut gelaufen sind die Exporte, die von der gestiegenen Nachfrage nach Waren "Made in Germany" aus den USA und der Europäischen Union profitierten. Diese legten im November um 1,7 Prozent zum Vormonat zu, wie das Statistische Bundesamt ermittelte. Hier hatten Ökonomen ein Minus von 0,2 Prozent erwartet. Von Januar bis November summierten sich die deutschen Ausfuhren auf gut 1,1 Billionen Euro - ein Plus von 13,8 Prozent zum Vorjahreszeitraum. "Für das Exportwachstum sind überwiegend Preissteigerungen verantwortlich, und nicht ein 'Mehr' an Gütern, die verschifft werden", goss der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, etwas Wasser in den Wein. "Nach China, unserem zweitwichtigsten Abnehmer, sind die Ausfuhren sogar wieder rückläufig."

Die deutschen Importe wuchsen im November mit 3,3 Prozent entgegen den Prognosen von Analysten. Sie erreichten bereits den zweiten Monat in Folge ein Rekordniveau. "Allerdings muss man auch einen gewissen Nachhol- und auch Preiseffekt berücksichtigen, der die Zahlen in die Höhe treibt", sagte der Präsident des Außenhandelsverbandes BGA, Dirk Jandura.

REZESSION UNWAHRSCHEINLICHER GEWORDEN

Ökonomen entdeckten in dem Zahlenwerk aber auch einen Hoffnungsfunken: Während Bau- und Energieversorger weniger herstellten, fuhr die Industrie allein ihre Erzeugung hoch - wenn auch nur um 0,2 Prozent. Dazu trug vor allem die Autobranche bei, die ihre Produktion nach Angaben ihres Verbandes VDA wohl wegen des nachlassenden Halbleitermangels im Dezember erneut steigern konnte. "Ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im vierten Quartal ist damit unwahrscheinlicher geworden", sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Mit Blick auf das laufende erste Quartal 2022 sei es für eine Entwarnung allerdings noch zu früh. "Denn die neue Corona-Welle dürfte die Lieferungen aus China erneut ins Stocken bringen und den Dienstleistungssektor hierzulande empfindlich einbremsen", sagte der Experte.

Auch das Kieler Institut für Volkswirtschaft (IfW) bleibt vorsichtig. "Die Belastungen durch die Lieferengpässe bleiben groß und werden wohl bis weit in das laufende Jahr hinein anhalten", sagte IfW-Konjunkturchef Nils Jannsen. Auch sei eine Verschärfung nicht ausgeschlossen. "Insbesondere, wenn die Omikron-Variante zu neuerlichen Störungen im internationalen Warenverkehr führt", sagte Jannsen. So fährt Deutschlands wichtigster Handelspartner China eine Null-Covid-Strategie. Das hat in der Vergangenheit mehrfach dazu geführt, dass Teile von großen Handelshäfen tagelang geschlossen und keine Waren umgeschlagen wurden und auch Produktionsstätten wurden gestört.

Die deutschen Industriebetriebe sitzen derzeit zwar auf prall gefüllten Auftragsbüchern. In den vergangenen Monaten konnten die Bestellungen jedoch nicht abgearbeitet werden wegen akuter Engpässe bei Vorprodukten wie Mikrochips. Der Materialmangel in der Industrie hat sich Ende 2021 nochmals verschärft: 81,9 Prozent der Firmen klagten über Engpässe und Probleme bei der Beschaffung von Vorprodukten und Rohstoffen, so viele wie noch nie. Da die Probleme noch eine Weile anhalten dürften, wird der Aufschwung in diesem Jahr nach Prognose führender Institute kleiner ausfallen als bislang angenommen. Das IfW etwa senkte seine Prognose für das Wachstum des deutsche Bruttoinlandsproduktes 2022 von 5,1 auf 4,0 Prozent.