Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Der Staat betreibt laut einer aktuellen Wohnungsmarkt-Studie ein Missmanagement bei der Unterstützung fürs Wohnen. Die Untersuchung des Pestel-Instituts wirft Bund und Ländern vor, die Förderung von Sozialwohnungen massiv vernachlässigt zu haben. Dadurch sei ein "dramatischer Mangel an sozialem Wohnraum in Deutschland" entstanden, so das Bündnis "Soziales Wohnen", das die Studie in Berlin vorstellte. Nach Berechnungen der Wissenschaftler fehlten bundesweit aktuell mehr als 910.000 Sozialwohnungen.

"Um bedürftigen Haushalten das Wohnen überhaupt noch zu ermöglichen, ist der Staat mittlerweile gezwungen, stetig steigende Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt zu akzeptieren", sagte Pestel-Institutsleiter Matthias Günther. Dabei zahle er sogar Mieten, die oft deutlich über der Durchschnittsmiete lägen. "Dadurch sind die notwendigen staatlichen Ausgaben für das Wohngeld und für die Kosten der Unterkunft geradezu explodiert." Spitzenreiter bei den "Turbo-Mieten" sei München. Hier habe die von den Job-Centern gezahlte Miete bei den Kosten der Unterkunft mit 19,40 Euro pro Quadratmeter rund 6,60 Euro über der Münchner Durchschnittsmiete gelegen.

Unterm Strich bezahle der Staat nach Berechnungen des Instituts dadurch allein in München schon Monat für Monat eine Millionensumme an "Mehr-Miete". Bundesweit ermittelte die Studie laut den Angaben nur bei den Kosten der Unterkunft im Vergleich zur Durchschnittsmiete rund 700 Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr. Insgesamt hat der Staat nach Angaben der Wissenschaftler 2023 erstmals mehr als 20 Milliarden Euro an Sozialausgaben für die Unterstützung bedürftiger Menschen beim Wohnen ausgegeben. Dagegen lagen die Ausgaben von Bund und Ländern für den sozialen Wohnungsbau in den letzten Jahren lediglich bei gut 4 Milliarden Euro pro Jahr, so die Studie.

"Die Sozialausgaben fürs Wohnen sind damit fünfmal so hoch wie die Förderung für den Neubau von Sozialwohnungen. Das ist ein deutliches Missverhältnis", monierte Günther. Vor allem der Bund habe hier seit Jahrzehnten ein Missmanagement betrieben: Er habe den Sozialwohnungsbau bis vor kurzem auf ein Minimum heruntergefahren und damit drastisch steigende Ausgaben für die Kosten der Unterkunft und für das Wohngeld - also für die Subjektförderung provoziert. Gegensteuern könne der Staat nur, wenn er jetzt anfange, "massiv in die Schaffung von deutlich mehr Sozialwohnungen" zu investieren.


   Steuerermäßigung und Sonderbudget gefordert 

Bund und Länder sollten umgehend 50 Milliarden Euro für die Förderung von sozialem Wohnraum bereitstellen, forderte das Bündnis. Auch sollten für den Neubau von Sozialwohnungen künftig nur 7 Prozent Mehrwertsteuer fällig werden, und es solle ein Sonderbudget "Sozialer Wohnungsbau" geschaffen und dort eingesetzt werden, wo der Mangel an Sozialwohnungen besonders hoch ist. Die Bündnispartner warnten den Bund, "weiterhin wertvolle Zeit verstreichen zu lassen". Es gelte, die für 2026 und 2027 geplanten Mittel "unbedingt jetzt für den sozialen Wohnungsbau bereitzustellen".

Unabhängig davon forderte auch der Spitzenverband der Wohnungswirtschaft GdW, dass von der Regierung "jetzt unverzüglich Unterstützung kommen muss, wenn der bezahlbare Wohnungsneubau nicht total zum Erliegen kommen soll". Nötig seien Zinsvergünstigungen und ein "Speed-Bonus" für Wohnungsunternehmen. "Wir können uns angesichts des riesigen Wohnungsmangels keinen weiteren verschenkten Monat und schon gar kein verschenktes Jahr leisten. Die Bundesregierung muss unverzüglich handeln, um den bezahlbaren Wohnungsneubau wieder zu ermöglichen und den sozialen Wohnungsneubau weiter deutlich zu stärken", so GdW-Präsident Axel Gedaschko.

Die Grünen-Abgeordnete Hanna Steinmüller betonte in Reaktion auf die Studie, die Zahlen verdeutlichten, dass die Wohnungspolitik "schon länger aus dem Gleichgewicht gekommen" sei. "Statt immer weiter steigende Mieten zu subventionieren, müssen wir in Zukunft wieder mehr in bezahlbares Wohnen investieren", mahnte sie. Die Ampel-Koalition investiere dieses Jahr 3,15 Milliarden Euro in die Soziale Wohnraumförderung - im Vergleich zu 2021 sei das mehr als das Dreifache. "Diese Investitionen werden wir trotz der schwierigen Haushaltslage absichern, denn Wohnen darf kein Luxus sein", sagte Steinmüller.

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January 16, 2024 06:27 ET (11:27 GMT)