-- Institut sieht grundsätzliches Konjunkturbild bestätigt

-- IMK-Chef Dullien sieht rund 4,5 bis 4,9 Prozent Plus

-- Ökonomen fordern aktive Wirtschaftspolitik

(NEU: Aussagen von Pressekonferenz)

Von Andreas Kißler

DÜSSELDORF/BERLIN (Dow Jones)--Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hat für 2021 ein Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von "spürbar über 4 Prozent" vorhergesagt. "Diese Größenordnung ist nach Analyse des IMK auch zu halten, wenn der Lockdown bis Ende Januar verlängert würde", erklärten die Düsseldorfer Forscher. IMK-Chef Sebastian Dullien nannte eine Spanne von rund 4,5 bis 4,9 Prozent. Damit wäre der tiefe Einbruch aus 2020 mit minus 5,0 Prozent aber noch nicht wieder ausgeglichen, betonten die Ökonomen und forderten, die Option offenzuhalten, auch 2022 noch eine Notfall-Ausnahme von der Schuldenbremse zu machen.

"Eine frühzeitige Festlegung darauf, ab 2022 die Schuldenbremse wieder einzuhalten, birgt die Gefahr, die Erholung abzuwürgen und würde dadurch auch die Konsolidierung gefährden", warnten sie. Denn bei schleppendem Wachstum würden sich erstens die Staatseinnahmen langsamer erholen, und zum zweiten würde sich die staatliche Schuldenstandsquote ungünstiger entwickeln. Mitte Dezember hatte das Konjunkturforschungsinstitut prognostiziert, im Jahresdurchschnitt 2021 werde das BIP um 4,9 Prozent zulegen, nach einem Rückgang um 5,0 Prozent in diesem Jahr.

"Wir sehen zurzeit keine Notwendigkeit, unsere Prognose zu korrigieren", betonte Dullien, der wissenschaftliche Direktor des IMK, bei einer Online-Pressekonferenz. "Wir sehen durch die Verlängerung des Lockdowns nicht unser grundsätzliches Konjunkturbild gefährdet." Das Wachstum erwartete er 2021 immer noch in einer Spanne von rund 4,5 bis 4,9 Prozent.


 
Aktive Wirtschaftspolitik gefordert 
 

Deutschland kann 2021 nach der aktuellen Einschätzung des Instituts "trotz des aktuellen Lockdowns auch wirtschaftlich langsam aus der akuten Corona-Krise kommen". Allerdings werde das BIP noch unter dem Niveau von 2019 liegen. Zudem sei die Voraussetzung dafür neben wirksamen Impfungen eine weiterhin aktive Wirtschaftspolitik. Gehe die Politik den enormen Investitionsbedarf von rund 450 Milliarden Euro bis 2030 für die anstehende Dekarbonisierung und Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zügig und konsequent an, könnten notwendige längerfristige Modernisierung und kurzfristige konjunkturelle Belebung Hand in Hand gehen.

Bundesregierung und EU hätten dafür im abgelaufenen Jahr wichtige Weichen gestellt, und der eingeschlagene Weg sollte "unbedingt fortgesetzt" werden. "Die zur Bekämpfung der Corona-Krise aufgenommene höhere Staatsverschuldung ist kein Hindernis für verstärkte Zukunftsinvestitionen, diese sollten vielmehr absolute Priorität haben gegenüber einer forcierten Rückzahlung der Kredite", betonten die Forscher. Der in der Schuldenbremse vorgesehene Tilgungszeitplan sei zu eng und sollte "zumindest stark gestreckt werden", verlangten sie. Geschehe dies, dann stünden die Chancen gut, dass die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren aus der höheren Verschuldung herauswachse.

Kreditfinanzierte Investitionen, die dazu beitrügen, Deutschland "zu einem klimaneutralen, digitalisierten, forschungsstarken Industriestandort zu machen", seien ökonomisch sinnvoll, betonte das gewerkschaftsnahe Institut. Sie würden die Rückführung der Schuldenstandsquote zwar verlangsamen, die Verschuldung würde relativ zur Wirtschaftsleistung aber dennoch stetig sinken, zumal die Zukunftsinvestitionen die Wirtschaftsleistung erhöhten und somit die Schuldentragfähigkeit günstig beeinflussten. Die Verlangsamung beim Rückgang der Schuldenstandsquote wäre "marginal", weil Tilgungen im Vergleich zum Wachstumseffekt nur eine nachgeordnete Rolle spielten.


 
Prioritäten der Finanzpolitik überdenken 
 

Das IMK empfahl zudem, die Schuldenregeln in Deutschland und auf EU-Ebene an die stark veränderte Realität anzupassen. "Die Schuldenbremse wurde zu einem Zeitpunkt eingeführt, als die Zinsausgaben relativ zu den Einnahmen der Gebietskörperschaften um ein Mehrfaches über dem aktuellen Niveau lagen", heißt es in der Analyse. Gegenwärtig, "vor dem Hintergrund der noch länger andauernden Niedrigzinsphase", seien die Kosten der Verschuldung dagegen "zu vernachlässigen". Entsprechend sollten "die Prioritäten der Finanzpolitik überdacht werden".

Dullien sagte, "ganz kurzfristig" sei es wichtig, dass die Bundesregierung weiter Betriebe so unterstütze, dass es nicht zu Insolvenzen kommt. Man solle großzügig mit Unterstützungszahlungen sein. "Es gibt keinen Grund, warum man ein zufälliges Ereignis wie die Corona-Pandemie dazu nutzen sollte, um Unternehmen mit einem eigentlich gesunden Geschäftsmodell in die Pleite rasseln zu lassen", betonte der Ökonom.

Eventuell müsse der Staat bei einem längeren Lockdown noch einen größeren Teil der Fixkosten der Firmen übernehmen, insbesondere des Einzelhandels. Überlegt werden solle auch, die Vermieter von Gewerbeimmobilien stärker an den Kosten des Lockdowns zu beteiligen, "indem man zum Beispiel eine gesetzliche Mietminderung macht", schlug Dullien vor.

Kontakt zum Autor: andreas.kissler@wsj.com

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January 05, 2021 06:24 ET (11:24 GMT)