Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage der Weltwirtschaft?
Gemessen an der Entwicklung der Finanzmärkte haben wir es mit einer Achterbahnfahrt zu tun. Für die Weltwirtschaft selbst kann man von einem 'Aufwärts mit Stockungen' sprechen. Wir haben Wachstum, das aber aufgrund wachsender globaler Unsicherheitsmomente immer wieder Rückschläge erlebt. Die Palette möglicher Störfaktoren ist vielfältig; sie reicht von negativen handelspolitischen Entscheidungen der neuen Trump-Administration über unvorhergesehene Wahlausgänge in Europa bis hin zu möglichen neuen Diskrepanzen mit der Türkei.

Ist die Erholung der Weltwirtschaft robust oder eher verhalten?
Die Wirtschaft der Industrieländer hat sich in den vergangenen Jahren als ziemlich widerstandsfähig erwiesen und trotzte zahlreichen externen Störungen. Etwa dem Brexit, dessen negative Auswirkungen auf den Konjunkturverlauf bisher ausgeblieben sind. Oder der Wahl Donald Trumps zum 45. Präsidenten der USA. Auch dieses Ereignis hat noch keine erkennbaren negativen Spuren hinterlassen. Das sind Indizien dafür, dass sich die Weltwirtschaft zurzeit in einem verhältnismäßig robusten Zustand befindet. Sie war in der Lage, äußere Schocks relativ unbeschadet wegzustecken. Ob das auch in der Zukunft so bleibt, ist allerdings fraglich, wenn es beispielsweise zu größeren politischen Umwälzungen in Frankreich oder Italien kommen sollte.

Welche Faktoren stützen diesen Aufwärtsprozess?
Die Schwellenländer, auf die knapp die Hälfte der globalen Wirtschaftslelistung entfällt, haben die Schwächephase, in die sie 2015/2016 geraten waren, mittlerweile überwunden. Das ist äußerst wichtig für die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft, auch für die Industriestaaten. Auch hier sind deutliche Konjunkturverbesserungen erkennbar. Die Entwicklung in den Emerging Markets ist allerdings stark kreditgetrieben und birgt damit finanzielle Risiken. Ein weiterer Energiespender für den Aufwärtsprozess ist das geplante Konjunkturpaket der Trump-Administration. Diese beiden Faktoren stimmen mich zuversichtlich, dass der Aufwärtsprozess der Weltwirtschaft - zumindest für das nächste Jahr - nicht in Gefahr ist.

Dennis Snower, Präsident des Kieler IfW-Instituts, warnt vor einer neuen Weltwirtschaftskrise. Hat er Recht?
Ich stimme seiner Meinung zu, dass der gegenwärtig zu beobachtende Protektionismus einzelner Staaten und der Vertrauensverlust in politische Institutionen eine potentielle Gefahr für die weitere Entwicklung der Weltwirtschaft darstellen. Gleichzeitig stelle ich mit Genugtuung fest, dass das Verhalten der Wähler, die ihre Stimmen populistischen Politikern schenken, bisher nicht zu einer marktfeindlichen Politik geführt hat. Es ist doch bezeichnend, dass derzeit in den USA und Großbritannien Steuersenkungen für Unternehmen diskutiert werden. Ich gehe nicht davon aus, dass der neue amerikanische Präsident zu sehr weitreichenden protektionistischen Maßnahmen greift. Er wird Signale in dieser Richtung aussenden, die abschreckend wirken. Auf einen Handelskrieg dürfte Trump es aber nicht ankommen lassen. Das wäre ein Rückfall in die tiefe dunkle Vergangenheit und würde, wie von Snower befürchtet, zu einem gefährlichen Déjà-vu der 1930er-Jahre führen. Nachdem der Präsident sein Kabinett für wirtschaftspolitische Fragen nominiert hat, ist diese Gefahr meines Erachtens nicht sehr groß.

Sehen Sie in Trumps Motto 'America first' einen funktionierenden Hebel zur Ankurbelung der US-Economy oder befürchten Sie stattdessen massive Probleme auf die größte Volkswirtschaft der Erde zukommen?
Donald Trump ist auch Unternehmer. Das gilt für viele seine Regierungsmitglieder. Die Politik der neuen US-Administration wird daher nicht so gestaltet werden, dass sie die Wirtschaft des Landes zum Erliegen bringt oder sie massiv schwächt. Allerdings muss Trump gewisse Wahlversprechen gegenüber seinen Wählern einlösen. So rechne ich beispielsweise mit einer aggressiveren Handelspolitik gegenüber China und Mexiko. Das ist eine Gefahr, wird aber wohl keinen sich hochschaukelnden Protektionismus auslösen. Der würde auch den USA schaden.

Rechnen Sie mit einem kurzfristigen Wachstum der US-Wirtschaft?
Das geplante Konjunkturpaket der Trump-Administration dürfte 2017/2018 für eine deutliche Nachfragebelebung in den USA sorgen und das nationale Bruttoinlandsprodukt stärker ansteigen lassen. Die entscheidende Frage ist dabei, wie nachhaltig dieses Wachstum ist. Ich befürchte, dass es sich um ein Strohfeuer handeln könnte. Wir werden eine expansive Politik sehen, die zwar kurzfristig Wachstum stimuliert, vor allem aber wieder in höheren Staatsschulden mündet. Auch eine Überhitzung der Wirtschaft, die sich später in einer Rezession korrigiert, halte ich für möglich.

Die OECD-Ökonomen haben die Regierungen der Industrie- und Schwellenländer aufgefordert, die niedrigen Zinsen zur gemeinsamen Ankurbelung der Weltwirtschaft zu nutzen. Kann dieser Plan aufgehen?
Die Empfehlung der OECD halte ich für ziemlich blauäugig. Sie müsste den Industrie- und Schwellenländern vielmehr empfehlen, die exzeptionelle Zinssituation zur Konsolidierung ihrer Haushalte zu nutzen und die Chance wahrzunehmen, endlich von den übermäßig hohen Schulden herunterzukommen. Industrie- und Schwellenländer sollten nicht versuchen, ihre Wirtschaft durch die Aufnahme weiterer Schulden anzukurbeln, sondern mittels Reformen.

Analysten kritisieren immer wieder, dass die deutsche Wirtschaft zwar robust, aber nicht überschäumend sei. Wird dabei nicht übersehen, dass von der latenten Krise des politischen Systems weitaus größere Gefahren für die Konjunktur in Deutschland und Europa ausgehen?
Ich stimme zu, dass die politische Entwicklung in der EU zunehmend zur Belastung für die Wirtschaft wird. Der Grund dafür liegt im fehlenden Vertrauen der Wirtschaftsteilnehmer in die politischen Institutionen. Politische Instabilität schlägt sofort negativ auf die Ausgabenpläne der Wirtschaftsteilnehmer durch - bei Firmen wie bei privaten Konsumenten. Kritisch könnte es werden, wenn Parteien gewählt würden, die eine isolationistische oder anti-marktwirtschaftliche Politik wie beispielsweise Le Pen in Frankreich betreiben. Träfen sie reale Entscheidungen zu Lasten der Wirtschaft und der privaten Haushalte, würden aus den Risiken unmittelbare Belastungen für die Wirtschaft.

*Das Interview führte Frank Rösch, BME.

BME - Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. veröffentlichte diesen Inhalt am 27 Januar 2017 und ist allein verantwortlich für die darin enthaltenen Informationen.
Unverändert und nicht überarbeitet weiter verbreitet am 27 Januar 2017 09:18:03 UTC.

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