Taktische Zurückhaltung, Kommentar zu Chinas Wirtschaftswachstum von
Norbert Hellmann
Frankfurt (ots) - Chinas Bruttoinlandsprodukt ist im dritten Quartal mit 4,9 %
Wachstum für chinesische Verhältnisse nur schleppend vorangekommen. Die Sache
mit der rauschhaften Erholung vom coronabedingten Konjunkturschock - das war
einmal. Ökonomen hatten zwar prognostiziert, dass die weltweit zweitgrößte
Volkswirtschaft in der zweiten Jahreshälfte 2021 auf eine Holperstrecke gerät,
die eine Temporücknahme bedingt, nun ist aber noch eine ganze Reihe von
Hindernissen hinzugekommen.

In der ersten Jahreshälfte hat die verführerische Optik der Basiseffekte nach
dem Coronaschock von 2020 eine Wachstumsrate von 12,7 % gebracht. Damit wurde
der Blick dafür verstellt, dass Chinas Wirtschaft - trotz zunächst rascher und
imposanter Erholung - bereits wieder in den vor Ausbruch der Pandemie
herrschenden Entschleunigungsmodus zurückgekehrt war. Damals, im vierten Quartal
2019, kam man auf für China als mager, aber gerade noch vertretbar geltende 6 %.

Für das jetzt angebrochene Schlussquartal 2021 gilt eine 5 vor dem Komma als das
höchste der Gefühle und ist auch nur dann zu erreichen, wenn sich etwa die
Rohstoff- und Erzeugerpreishausse rascher als erwartet legt und zudem das
Schreckgespenst für den Immobilienmarkt in Gestalt des pleitegefährdeten
Wohnungsbauriesen Evergrande überzeugend verscheucht werden kann. Das
wahrscheinlichere Basisszenario aber ist, dass das Wachstumstempo auch im
vierten Quartal abbröckelt.

Darf man nun erwarten, dass Peking aufgeschreckt die Stimulierungsmaschinerie
anwirft? Mit Sicherheit nicht, zumindest erst mal nicht. Chinas
Wirtschaftsplaner haben für das vor Basiseffekten nur so strotzende Jahr 2021
mit einem offiziellen Wachstumsziel von 6 % eine denkbar niedrige Marke gesetzt
und sich damit präventiv aus der Schusslinie genommen. Selbst wenn es im vierten
Quartal noch schlechter als erwartet läuft, ist für das Gesamtjahr ein Wachstum
nahe 8 % quasi garantiert.

Danach freilich wird es spannend bei der Frage, ob die Regierung wie zuletzt
eher auf Finanzstabilität denn auf Wachstumsförderung setzt. Das würde
nämlich
heißen, sich auch künftig mit historisch niedrigen Wachstumszielen von um die 5
% zufriedenzugeben. Zunächst aber gilt es, sich taktisch klug zu verhalten. Mit
einem niedrigen BIP-Ausweis in diesem Jahr wird auch die Latte für das nächste
Jahr niedriger gelegt. Je mehr sich Peking gegenwärtig noch mit Stimuli
zurückhält, desto leichter wird es dann, eine einigermaßen stattliche
Wachstumsvorgabe für 2022 zu erfüllen.

Pressekontakt:

Börsen-Zeitung
Redaktion

Telefon: 069-2732-0
www.boersen-zeitung.de

Weiteres Material: http://presseportal.de/pm/30377/5049794
OTS:               Börsen-Zeitung