BERLIN (Dow Jones)--Der Bundeshaushalt von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) wird einer Studie zufolge in diesem Jahr die Schuldenbremse einhalten und Deutschland dennoch gleichzeitig gegen die europäischen Defizitobergrenzen verstoßen. Die Bundesregierung werde die Schuldengrenze nur wegen "buchhalterischer Tricks" einhalten, heißt es in einer neuen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Diese "Haushaltstricks" mit dem Einsatz von Sondervermögen zur Umgehung der Schuldengrenze müssten aber beendet werden, forderte das IW.

Möglich sei die Einhaltung der Schuldengrenze bei gleichzeitigem Verstoß gegen die europäischen Mastricht-Kriterien, weil die Ampel-Koalition sich eines haushaltspolitischen Winkelzuges bediene, heißt es. Angesichts der Corona- und Energie-Notlagen von 2020 bis 2022 wurden die Regelgrenzen der Neuschuldenaufnahme ausgesetzt. Diese Ausnahmen hätten die Haushälter der Koalition genutzt, um große Kapitalstöcke in Sondervermögen anzusammeln, die nicht von der Schuldenbremse erfasst würden. Dazu zählten unter anderem der Wirtschaftsstabilisierungsfonds aus der Corona-Zeit oder der Klima- und Transformationsfonds zur Bewältigung der Energiewende.

In diesem Jahr habe die Ampel-Koalition nun die Regeln verändert, wie sich Sondervermögen auf die Schuldenbremse auswirkten. Anders als früher verringere sich nun nicht mehr der Verschuldungsspielraum für das betroffene Jahr, wenn in Zukunft eine Ausgabe aus dem Sondervermögen beglichen wird. Daher könne die Regierung ihre zukünftigen Schulden in fast unbegrenzter Höhe in Krisenjahren aufschultern - und dabei trotzdem die Schuldenbremse einhalten, wie das IW erklärte.

"Es ist grotesk, dass Deutschland sich zwar an die strenge Schuldenbremse hält, aber gleichzeitig die großzügigen Maastricht-Kriterien reißen kann", sagte IW-Haushaltsexperte Martin Beznoska. "Der ausufernde Einsatz von Sondervermögen muss enden. Stattdessen sollte die Bundesregierung die Schuldenbremse öffnen, damit transparente Investitionsspielräume entstehen."


   IW sieht gesamtstaatliches Defizit bei 3,4 Prozent 

Das IW verwies darauf, dass sich die Bundesregierung bei einem Defizit von 45,6 Milliarden Euro einerseits an die Schuldenbremse halte. Über buchhalterische Kniffe bei den Sondervermögen werde die gesamtstaatliche Schuldenneuaufnahme, die maßgeblich vom Bundeshaushalt gesteuert wird, in diesem Jahr jedoch voraussichtlich insgesamt 140 Milliarden Euro und somit 3,4 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) betragen und damit das Stabilitätskriterium der Maastrichter Verträge brechen. Diese sehen für Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein Defizit von maximal 3 Prozent des BIP vor, sind seit 2020 aufgrund der Pandemie allerdings formal außer Kraft gesetzt.

Finanzminister Lindner hat im Dezember das gesamtstaatliche Staatsdefizit nach den Maastricht-Kriterien für dieses Jahr sogar auf 4,5 Prozent des BIP geschätzt, nach 3,5 Prozent im Jahr 2022. Das IW kritisierte, dass die Bundesregierung die Schulden nur im Jahr der Erstaufnahme im Haushalt verbucht. Die EU bediene sich bei ihrer Berechnung der Schulden jedoch der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen. Hier würden die Schulden in dem Jahr berücksichtigt, in dem die Gelder verwendet werden. "Das zeigt: Eine kohärente Finanzpolitik auf europäischer Ebene ist nicht möglich, solange sich Deutschland an der Schuldenbremse orientiert", kritisierte das IW.

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January 11, 2023 05:19 ET (10:19 GMT)