Börsen-Zeitung: Jahresendbaisse / Kommentar zur Entwicklung der
Aktienmärkte von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots) - Bei dem ein oder anderen Anlegern dürfte in den
Feiertagen nur bedingt weihnachtliche Stimmung aufkommen. Denn das
Schlussquartal des Jahres hat nur im negativen Sinne eine "schöne
Bescherung" gebracht. Statt der Jahresendrally erleben die
Aktienmärkte eine Jahresendbaisse. Seit dem Oktober fallen die Kurse
rund um den Globus. Zuvor hatten die US-Aktienmärkte in den ersten
drei Quartalen noch ihre Rekordfahrt fortgesetzt und damit den Rest
der Welt hinter sich gelassen. Nun aber finden auch diejenigen, die
auf amerikanische Dividendentitel gesetzt hatten und damit gut
gefahren waren, einen leeren Gabentisch vor.
Durch den Kursverfall seit Anfang Oktober hat der S&P 500 seine
Gewinne der ersten neun Monate mehr als ausgewischt und ist auf das
niedrigste Niveau seit dem Oktober 2017 gesunken. Sein Minus seit
Jahresbeginn beträgt 8%, das des Industrieländerindex MSCI World, der
im Schlussquartal bislang ca. 13% eingebüßt hat, beläuft sich auf
rund 11%. Ursache der Malaise ist die Sorge, dass der
US-Konjunkturzyklus und der gleichfalls schon sehr lang anhaltende
Bullenmarkt vor ihrem Ende stehen könnten. Hinzu kommt, dass die
Notenbanken aus der ultralockeren Geldpolitik aussteigen bzw. zu
einer restriktiveren Linie übergehen. Dadurch wandelt sich einer der
großen Kurstreiber der zurückliegenden Jahre zu einem Gegenwind.
Wurde zunächst für das neue Jahr eine relativ deutliche
Wachstumsverlangsamung angenommen, wird nun befürchtet, dass es
bereits 2019 zu einer Rezession kommen und ein Bärenmarkt starten
wird.
Analysten und Strategen werden nicht müde, zur Besonnenheit
aufzurufen. Der Ausverkauf und die ängstliche Stimmung seien
übertrieben, die Weltwirtschaft verliere zwar an Tempo, aber es werde
im neuen Jahr immerhin noch ein einigermaßen passables Wachstum
geben. Auch seien die Bewertungen nun wieder moderater, im Falle des
Dax sogar recht günstig. Nicht zuletzt bewegen sich die Zinsen nach
wie vor auf einem im historischen Vergleich sehr niedrigen Niveau,
was den relativen Bewertungsvorteil von Dividendenwerten
aufrechterhält.
Doch die Anleger scheinen nicht mehr zuzuhören und unverdrossen
auf die Verkaufsknöpfe zu drücken, so dass eine immer weitere Lücke
zwischen dem Marktgeschehen und dem, was Analysten sagen, klafft.
Marktbewegungen können sich eben verselbständigen und wesentlich
weiter gehen als erwartet, insbesondere in einem von Angst
getriebenen Umfeld. Viele Indikatoren zeigen die sehr starke
Verunsicherung und Nervosität an. So haben die Fonds von November auf
Dezember in einem noch nie innerhalb eines Monats gesehenen Ausmaß in
Anleihen umgeschichtet, wie die globale Fondsmanagerumfrage von Bank
of America Merrill Lynch jüngst gezeigt hat. Noch nie seit Beginn der
Umfrage haben so viele Fonds wie in diesem Monat erklärt, in den
kommenden zwölf Monaten mit einem geringeren globalen Wachstum zu
rechnen. Aktienfonds verzeichneten jüngst die höchsten bislang
registrierten wöchentlichen Abflüsse.
Gerade Letzteres deutet darauf hin, dass zumindest eine technische
Erholung in der Luft liegen könnte. Als die Aktienmärkte mit einer
furiosen Hausse ins Jahr starteten, erreichten die globalen Zuflüsse
der Aktienfonds einen rekordhohen Wert. Kurz darauf sackten die
Märkte ab. Unabhängig von einer eventuell bevorstehenden
Erholungsphase wird die entscheidende Frage im kommenden Jahr jedoch
letztlich sein, ob derzeit die Marktteilnehmer richtigliegen oder
die Analysten. Es ist längst noch nicht ausgemacht, ob schon 2019
eine Rezession kommt oder die Weltwirtschaft, wenn auch mit
vermindertem Tempo, weiter wächst. Damit ist auch offen, ob das
vierte Quartal ein böses Omen für die Aktienmärkte ist oder aber mit
dem zurückliegenden Kursverfall zu viel Negatives vorweggenommen
worden ist und vielleicht sogar ein recht gutes Jahr für
Dividendenwerte bevorsteht.
Letztlich halten die anstehenden Fundamentaldaten den Schlüssel
für die Entwicklung der Aktienmärkte im kommenden Jahr in der Hand.
Neben den Konjunkturindikationen wird die anstehende
Quartalsberichterstattung von entscheidender Bedeutung sein. Die
Marktteilnehmer werden die Zahlen und Ausblicke der Unternehmen sehr
genau anschauen und sich eine Meinung darüber bilden, ob der
Konjunktur- und der Aktienmarktzyklus schon am Ende ist oder doch
noch ein Stückchen weiter geht.
(Börsen-Zeitung, 22.12.2018)
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