Im Jahr des Chaos, ein Marktkommentar von Dieter Kuckelkorn
Frankfurt (ots) - Am ersten Handelstag des neuen Jahres herrschte an den 
internationalen Finanzmärkten noch eitel Sonnenschein. An der Wall Street 
stiegen die drei großen Aktienindizes wieder einmal auf Allzeithochs, und auch 
diesseits des Atlantiks gab es deutliche Gewinne an den Aktienmärkten. Nur einen
Tag später sah die Situation schon wieder gänzlich anders aus. Die jüngsten 
Ereignisse im Irak machen den Marktteilnehmern die großen Risiken deutlich, die 
das Potenzial haben, für starke Verwerfungen an den Märkten zu sorgen.

Dabei geht es nicht nur, aber auch um politische Risiken - wie sie jetzt wieder 
die Schlagzeilen beherrschen. Im vergangenen Jahr haben sich die politischen 
Konflikte rund um den Globus an vielen Orten deutlich verschärft, was zu einem 
starken Anstieg der Kriegsgefahr geführt hat. An erster Stelle zu nennen ist der
Versuch der USA, den Aufstieg der großen eurasischen Landmächte China und 
Russland mit allen Mitteln zu verhindern oder zumindest zu verlangsamen, um so 
die globale Vormachtstellung Amerikas zu zementieren.

An Orten wie den baltischen Staaten, der Ukraine, Syrien sowie dem 
Südchinesischen Meer hätten dabei ohne weiteres bereits militärische 
Konfrontationen entstehen können - und in der Folge scharfe Korrekturen an den 
Finanzmärkten. Im vergangenen Jahr war es jedoch ein Glücksfall für die
Märkte, 
dass sämtliche führenden Akteure auf beiden Seiten der jeweiligen Konflikte ein 
erstaunliches Maß an Zurückhaltung und Mäßigung bewiesen. Das galt nicht
nur für
den amerikanisch-iranischen Konflikt, sondern auch beispielsweise für die 
Konfrontation zwischen den beiden Atommächten Indien und Pakistan, deren 
Militärs zeitweise bereits aufeinander schossen.

Dass diese überall zu spürende Zurückhaltung ein ungewöhnlicher
Glücksfall war, 
machen die jüngsten Ereignisse im Nahen Osten deutlich. Der amerikanische 
Mordanschlag auf einen prominenten iranischen General und - das sollte nicht 
übersehen werden - einen hohen General des mit den USA verbündeten Irak entbehrt
jeglicher strategischer Weitsicht und lässt für die kommenden Monate Schlimmes 
erahnen. In die für die Energieversorgung der Welt unentbehrliche Region rund um
den Persischen Golf ist damit Chaos und Ungewissheit zurückgekehrt. Es besteht 
die Gefahr, dass der Ölpreis, der bereits deutlich reagiert hat, in völlig neue 
Dimensionen steigt. Die Folge davon wäre eine schwere Rezession der 
Realwirtschaft rund um den Globus - mit verheerenden Folgen für die 
Finanzmärkte, die sich bereits in einem recht anfälligen Zustand präsentieren.

Die aber wohl größte ökonomische Gefahr geht von der global exorbitant 
gestiegenen Verschuldung aus. Nach Schätzungen des Institute of International 
Finance (IIF) sind die Schulden weltweit per Ende 2019 auf den Rekordstand von 
255 Bill. Dollar geklettert. Im gerade beendeten Jahr kletterten sie damit um 
nicht weniger als 12 Bill. Dollar. In den entwickelten Ländern stieg die 
Verschuldung per Ende 2018 - neuere Daten gibt es dazu nicht - auf 256 Prozent 
des Bruttoinlandsprodukts und damit auf ein höheres Niveau als vor der 
Finanzkrise von 2008/09.

Die Analysten der Bank of America merken dazu an, dass das größte 
Rezessionsrisiko in einem ungeordneten Anstieg der Credit Spreads und in der 
Folge einem Abbau des Leverage liege. Die Bank für Internationalen 
Zahlungsausgleich (BIZ) warnt in einer Studie vor der Gefahr einer neuen 
Finanzkrise. Und laut Einschätzung der Weltbank stellt die aktuelle Situation 
eine besondere Gefahr dar, weil von dem Anschwellen der Verschuldung sowohl 
Staaten als auch Unternehmen und private Haushalte betroffen sind und weil rund 
drei Viertel der Staaten weltweit bereits jetzt Haushaltsdefizite aufweisen.

Zwar muss es nicht dazu kommen, dass die geschilderten politischen Konflikte und
ökonomischen Verwerfungen in diesem Jahr eskalieren. Vielleicht geht es auch 
noch einmal gut, womit aber die Ungleichgewichte weiter zunehmen würden und 
damit die Krisengefahren in den Folgejahren. Es besteht aber eine nicht 
unerhebliche Wahrscheinlichkeit, dass es nach einem Jahr 2019 mit relativer 
Stabilität und stattlichen Erträgen an den Finanzmärkten nun zu einem Jahr der

Konflikte und des Chaos und in der Folge erheblichen Korrekturen an den 
Kapitalmärkten kommt.

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