Keine Angst vor Baerbock, Marktkommentar von Werner Rüppel
Frankfurt (ots) - Nach 16 Jahren als Kanzlerin tritt Angela Merkel bei der
Bundestagswahl im September nicht mehr an. Es wird also nach der Wahl eine neue
Kanzlerin oder einen neuen Kanzler geben.

Trotz der wichtigen politischen Entscheidung im Herbst ist der Deutsche
Aktienindex in Partylaune und erklimmt ein Hoch nach dem anderen. Etliche
Analysten erwarten, dass der Dax weiter zulegt. So hat Christian Kahler von der
DZ Bank gerade seine Dax-Prognose per Mitte 2022 auf 16.500 Punkte ange­hoben;
dass die Aktienmärkte auch 2022 steigen können, hat nach Ansicht des Strategen
vor allem einen Grund: "steigende Unternehmensgewinne". Und die UBS empfiehlt
Aktieninvestoren als Ergebnis einer umfassenden 42-seitigen Studie zur deutschen
Bundestagswahl: "Stay overweight Germany". Denn Deutschland habe das größte
Exposure zu derzeit von den UBS-Analysten favorisierten Themen: zyklische
Ausrichtung, Value und Autos.

Wie kann das sein? Spielen Bundestagswahlen inzwischen für Investoren überhaupt
keine Rolle mehr? Nein, das Gegenteil ist der Fall. In Deutschland haben die
politischen Grundentscheidungen das Abschneiden des Aktienmarktes stets
maßgeblich beeinflusst. Politik hat sozusagen für den Dax sehr lange Beine, und
keine kurzen. So hat die marktwirtschaftliche Ausrichtung unter Kanzler Konrad
Adenauer und Wirtschaftsminister Ludwig Erhard dafür gesorgt, dass die deutsche
Wirtschaft prosperierte und heimische Aktien überdurchschnittlich zulegten.
Verluste gab es hingegen durch die Wirtschaftspolitik unter Kanzler Willy
Brandt. Unter Helmut Kohl legte der Dax dank seines marktwirtschaftlichen Kurses
knapp 15 Prozent pro Jahr zu. Und unter Gerhard Schröder begannen die Kurse nach
oben zu tendieren, nachdem dieser in seiner Agenda 2010 die Marktwirtschaft in
den Vordergrund stellte; umgesetzt übrigens mit Regierungsbeteiligung der
Grünen. Die Ernte aus Reformen wie Hartz IV konnte dann Merkel in Form eines
Rückgangs der Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Prosperität und steigender
Aktienkurse einfahren.

Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage würde nun die CDU/CSU unter Kanzlerkandidat
Armin Laschet 25 Prozent der Stimmen erhalten, wenn heute schon Bundestagswahl
wäre. Knapp dahinter mit 24 Prozent folgen die Grünen mit Kanzlerkandidatin
Annalena Baerbock. FDP und SPD kommen in der Umfrage jeweils auf 14 Prozent der
Stimmen, auf die AfD entfallen 9 Prozent und auf Die Linke 6 Prozent.

"Eine Grün-rot-rote-Regierung ist derzeit die einzige Regierungskonstellation,
die als belastend gesehen wird", sagt DZ-Bank-Stratege Kahler. Doch zeigt allein
die aktuelle Umfrage, dass eine neue Bundesregierung unter Beteiligung der als
wirtschaftsfeindlich empfundenen Linken sehr unwahrscheinlich ist. Erst einmal
muss diese Partei im September die 5-Prozent-Hürde nehmen, und auch dann würde
es mit den Grünen und der immer mehr schwächelnden SPD aller Wahrscheinlichkeit
nach wohl nicht für eine Mehrheit reichen.

Hinzu kommt, dass die FDP derzeit massiv im Aufwind ist, so dass eine
Regierungsbildung ohne FDP oder CDU/CSU derzeit kaum möglich erscheint. Darüber
hinaus sind die Grünen unter Annalena Baerbock und Robert Habeck zu einer Partei
der bürgerlichen Mitte avanciert. Sie verfolgen einen gänzlich anderen Kurs als
die grünen Fundis früherer Tage und wollen weder die Marktwirtschaft noch die
Nato abschaffen. Vor diesem Hintergrund hat Baerbock auch keinerlei Interesse,
eine Regierungskoalition mit den Linken einzugehen. Dass sich der frühere
Siemens-Chef Joe Kaeser gerade für Annalena Baerbock aussprach, zeigt den Wandel
auf. Baerbock erinnert Kaeser zudem "sehr an unsere heutige Bundeskanzlerin".

Doch auch wenn Deutschland nach der Wahl, sei es dann unter Kanzler Laschet oder
unter Kanzlerin Baerbock, weiter marktwirtschaftlich ausgerichtet bleibt, wird
sich einiges ändern. Denn mit der zu erwartenden Regierungsbeteiligung der
Grünen rückt die Klimapolitik noch mehr in den Vordergrund. Nach Meinung der UBS
dürfte es auch zu Veränderungen am Wohnungsmarkt sowie zu verstärkten
Investitionen in Infrastruktur kommen. Positiv wäre dies laut den Analysten des
Instituts für Werte wie Infineon, Siemens, Siemens Gamesa, VW und Wacker Chemie.
Hingegen könnten Covestro, Lufthansa und Rheinmetall durch die Wahl negativ
beeinflusst werden.

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