Kontrollverlust, Kommentar von Annette Becker zu Bayer
Frankfurt (ots) - Jetzt sind wir in der Pflicht und haben die Kontrolle. Das
sind die Worte, mit denen Bayer-Chef Werner Baumann das endgültige Aus für den
vor Gericht gescheiterten Lösungsmechanismus für den Umgang mit künftigen
Glyphosat-Klagen verkündet. Es klingt fast wie ein Befreiungsschlag. Das ist
insoweit verständlich, als es Bayer binnen eines Jahres nicht gelungen ist, das
zuständige US-Gericht von dem mit den Klägerkanzleien ausgehandelten Vergleich
zu überzeugen. Wie Schulbuben, die zum Nachsitzen verdonnert werden, schickte
Richter Vince Chhabria die Antragsteller gleich mehrfach zurück und forderte ein
ums andere Mal Nachbesserungen. Damit ist nun Schluss.

Allerdings ist der Schritt, den Bayer geht, durchaus gewagt. Denn mit der
US-Justiz ist in puncto Produkthaftungsklagen keineswegs zu spaßen. Zumal es
just besagter Richter war, der Bayer vor gut zwei Jahren in die Mediation
gezwungen hatte, um die Klagewelle im Vergleichswege zu beenden. Dass dabei auch
die Kontrolle über das Verfahren und seinen Ausgang verloren ging, war klar.

Alles andere als ausgemacht ist jedoch, dass es Bayer mit dem vorgestellten
Maßnahmenpaket gelingt, die Kontrolle zurückzuerlangen. Nicht ohne Grund hatte
sich das zuständige Gericht in San Francisco von Beginn an gegen den Versuch
gestemmt, den Nachweis der Kausalität zwischen der Anwendung des
glyphosathaltigen Herbizids Roundup und dem Auftreten von Lymphdrüsenkrebs vom
Gerichtssaal in ein mit Wissenschaftlern besetztes Gremium zu verlagern.

Mit dem jetzigen Vorgehen riskiert Bayer, dass sich eine zweite Klagewelle
aufbaut, die dann abermals mit vielen Milliarden beigelegt werden muss. Von dem
im Vorjahr angekündigten Vergleichspaket im Umfang von 11,6 Mrd. Dollar
entfallen bis zu 9,6 Mrd. Dollar auf das Abräumen der anhängigen Klagen. Die
Bearbeitung möglicher künftiger Klagen sollte dagegen mit 2 Mrd. Dollar
bewerkstelligt werden. Letzteres könnte teurer - aber natürlich auch billiger -
werden.

Diese Unsicherheit aber ist das eigentliche Problem, wie sich an der
Kursreaktion zeigt. Wer im vorigen Jahr darauf setzte, dass sich Bayer mit
milliardenschweren Zahlungen aus den Klauen der US-Klageindustrie befreit, ist
nun eines Besseren belehrt.

Die Hoffnung, dass der Oberste Gerichtshof die Trendwende in den drei bislang
ausgefochtenen Verfahren bringt und damit auch eine neue Sichtweise auf den
gesamten Klagekomplex erlaubt, ist nicht mehr als der Strohhalm, nach dem der
Ertrinkende greift. Ein Urteil des Supreme Court steht frühestens Mitte 2022 an.

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