Berlin (Reuters) - Ökonomen bewerten die Beschlüsse der Koalition zur Entlastung von Firmen und Verbrauchern positiv.

Wirtschaftsvertreter aus Handwerk und Mittelstand hingegen sprechen von halbherzigen Schritten. Vor allem die Möglichkeit, Verluste stärker mit früheren Gewinnen zu verrechnen, kommt bei Volkswirten gut an. "Sie versorgt die Unternehmen mit Liquidität", sagte der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, der Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag. "Die Ausweitung des Verlustrücktrags sowohl in der Höhe als auch in der zeitlichen Anwendung begrüße ich uneingeschränkt", erklärte auch der Chef der Wirtschaftsweisen, Lars Feld. Die Koalition nehme damit eine Forderung des Sachverständigenrats und anderer Experten auf.

Lobby-Vertreter begrüßten zwar, dass die Höchstgrenze für den steuerlichen Verlustrücktrag - wenn Unternehmen einen Verlust mit einem Gewinn aus dem Vorjahr verrechnen - auf zehn Millionen Euro verdoppelt werden soll. Handwerks-Präsident Hans Peter Wollseifer erklärte allerdings: "Der Beschluss ist nur halbherzig und angesichts der riesigen unverschuldeten Liquiditätsprobleme unserer Betriebe in keiner Weise weitreichend genug." Die Koalition habe eine Chance vertan, "Betrieben ganz einfach und zielgenau zu helfen, indem die Verlustverrechnung auf zwei bis drei Jahre ausgeweitet wird". Der Mittelstandsverband BVMW forderte hier sogar drei bis fünf Jahre: "Die Große Koalition geht zwar in die richtige Richtung, bleibt aber auf halber Strecke stehen."

Die Spitzen von CDU, CSU und SPD einigten sind auch darauf, für die Gastronomie die bisher bis zum 30. Juni befristete Absenkung der Mehrwertsteuer für Speisen auf sieben Prozent um eineinhalb Jahre bis Ende 2022 zu verlängern. Das schaffe Perspektiven für die notleidenden Restaurants, sagte Präsident Guido Zöllick vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Laut Umfrage im Januar bangen 75 Prozent der Betriebe um ihre Existenz. "Denn trotz der November- und Dezemberhilfen, die inzwischen auch zumindest bei vielen kleinen Unternehmen eingegangen sind, ist die Stimmung in der Branche wegen fehlender Öffnungsperspektiven von Verzweiflung geprägt."

Diese Steuerentlastung stößt bei manchen Ökonomen jedoch auf Kritik. "Sie hilft Betrieben, die weniger betroffen sind und mehr Umsatz machen stärker als Betrieben, die härter getroffen sind", erklärte Ifo-Chef Fuest. Außerdem gebe es neben der Gastronomie andere stark belastete Branchen, etwa den Einzelhandel, der nicht profitiere. "Der ermäßigte Umsatzsteuersatz sorgt immer für Verzerrungen, die sich ungünstig niederschlagen", sagte auch Feld zu Reuters. In den Genuss der Maßnahme kämen nur Firmen, die nach der Krise wieder ordentliche Umsätze erzielen könnten. "Es ist zudem nicht davon auszugehen, dass eine vollständige Weitergabe der Steuersenkung in den Preisen erfolgt." Ferner sei offen, "ob es der nächsten Bundesregierung gelingt, diese Maßnahme tatsächlich Ende 2022 auslaufen zu lassen".

"KRISENBEWÄLTIGUNG BLEIBT ARMUTSPOLITISCHES TRAUERSPIEL"

"Kein #Wumms, aber sinnvoll", twitterte der Wirtschaftsweise Achim Truger. Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sieht die Vorhaben eher positiv und zielgerichtet. "Es wird nur solchen Unternehmen geholfen, die massiv unter Corona in dem Sinne leiden, dass sie Verluste schreiben." Zudem sei dies verglichen mit den November-Hilfen unbürokratisch. "Aber auf Dauer kann der Staat, der ja von den Steuern der Unternehmen und ihren Beschäftigten lebt, die Wirtschaft nicht über Wasser halten", sagte Krämer zu Reuters. Am Ende sei Handel und Dienstleistern nur geholfen, wenn der Lockdown gelockert werde. "Ich rechne damit ab Ostern."

Chefökonom Thomas Gitzel von der VP Bank sprach von einem guten Mix. "Jetzt erst kommen die wirklich guten Maßnahmen. Die Mehrwertsteuersenkung war ein Schnellschuss, der sein Ziel verfehlte."

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) wertete die Steuerentlastung als wichtigen Schritt, um die Wettbewerbsfähigkeit der Firmen zu stärken. Mit den Beschlüssen für einen Kinderbonus von 150 Euro und einem Corona-Zuschuss für Erwachsene in der Grundsicherung von ebenfalls 150 Euro federt die Koalition laut Bundesarbeitsminister Hubertus Heil soziale Härten in der Corona-Pandemie ab. "Es ist gut, dass die Koalition jetzt pragmatische Lösungen gefunden hat", sagte der SPD-Politiker zu Reuters. Der Präsident des DIW-Instituts, Marcel Fratzscher, befürwortete, dass neben den Firmen "auch Familien und stark betroffene Menschen Unterstützung erhalten". Die Gewerkschaft Verdi hält weitere Hilfen für nötig. Der Paritätische Wohlfahrtsverband bezeichnete die Beschlüsse als Tropfen auf den heißen Stein. "Die Krisenbewältigung der großen Koalition bleibt ein armutspolitisches Trauerspiel."