GÜTERSLOH (AFP)--Die Mittelschicht in Deutschland bröckelt. Vor allem der untere Rand der Mittelschicht mit einem geringeren Einkommen ist abstiegsgefährdet, wie eine in Gütersloh veröffentlichte Studie der Bertelsmann-Stiftung und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigt. Auf der anderen Seite sei es schwerer denn je, in die Mittelschicht aufzusteigen.

Während im Jahr 1995 noch 70 Prozent der Bevölkerung zur mittleren Einkommensgruppe zählten, waren dies 2018 nur noch 64 Prozent. Zwar sank der Anteil im Wesentlichen bis 2005, doch die Mitte erholte sich seither nicht wieder, obwohl die deutsche Wirtschaft zwischen Finanz- und Corona-Krise durchschnittlich um rund 2 Prozent stetig wuchs und die Arbeitslosigkeit sank.

Für die Studie wurde der Zeitraum zwischen 1995 und 2018 untersucht. Zur Mittelschicht werden all jene gezählt, deren Einkommen nach Steuern und Transfers zwischen 75 und 200 Prozent des mittleren Einkommens liegt. Für einen Alleinstehenden gilt dies bei einem Monatseinkommen von rund 1.500 bis 4.000 Euro, für ein Paar mit zwei Kindern bei einem verfügbaren Einkommen zwischen 3.000 und 8.000 Euro.

Das Risiko, aus der Mittelschicht abzusteigen, bestand laut Studie vor allem für diejenigen mit einem Verdienst zwischen 75 und 100 Prozent des mittleren Einkommens. Für die Menschen am unteren Rand war das Abstiegsrisiko dreimal höher als im mittleren und sogar sechsmal höher als im oberen Teil der Mittelschicht. Gleichzeitig verringerten sich die Chancen, binnen vier Jahren in die Mittelschicht aufzusteigen, um mehr als 10 Prozentpunkte.

"Wer in Deutschland einmal aus der Mittelschicht herausfällt, hat es heute deutlich schwerer, wieder aufzusteigen", erklärte Valentina Consiglio, Arbeitsmarktexpertin der Bertelsmann-Stiftung. Im Vergleich mit 25 weiteren OECD-Ländern schrumpfte die Mittelschicht nur in Schweden, Finnland und Luxemburg stärker als in Deutschland.

Jüngere Erwachsene waren davon in Deutschland besonders betroffen. Der Anteil der 18- bis 29-Jährigen, die zur Einkommensmitte gehören, sank mit minus 10 Prozentpunkten überdurchschnittlich stark. Dabei spielt Bildung eine immer wichtigere Rolle. So ging der Anteil der 25- bis 35-Jährigen mit niedrigem oder mittlerem Bildungsniveau, die es in die Mittelschicht schafften, im Vergleich zu 1995 überproportional zurück.

Hinzu kommen die Auswirkungen schlechter Bezahlung. Mit 18 Prozent arbeitet etwa ein Sechstel der Vollzeitbeschäftigten, die in Mittelschichthaushalten leben, zum Niedriglohn. Bei Beschäftigten in der unteren Einkommensgruppe ist der Anteil hingegen viermal so hoch.

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December 01, 2021 01:38 ET (06:38 GMT)