Istanbul (Reuters) - Der im vergangenen Jahr im Libanon getötete Reuters-Journalist Issam Abdallah starb einer UN-Untersuchung zufolge durch den Beschuss eines israelischen Panzers.

Von dem Panzer seien zwei 120-Millimeter-Geschosse auf eine Gruppe "klar erkennbarer Journalisten" abgefeuert worden, wie aus einer Zusammenfassung eines Berichts der Friedenstruppe der Vereinten Nationen im Libanon (UNIFIL) zu dem Vorfall vom 13. Oktober 2023 hervorgeht, den Reuters einsehen konnte. Damit habe der Beschuss gegen internationales Recht verstoßen.

Die UN-Friedenstruppe habe an dem fraglichen Tag mehr als 40 Minuten lang keinen Schusswechsel an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon registriert, bevor der israelische Merkava-Panzer das Feuer eröffnet habe. "Es wird festgestellt, dass es zum Zeitpunkt des Vorfalls keinen Schusswechsel über die Blaue Linie hinweg gab. Der Grund für die Angriffe auf die Journalisten ist nicht bekannt", hieß es in dem siebenseitigen Bericht vom 27. Februar 2024.

Das humanitäre Völkerrecht verbietet Angriffe auf Journalisten. Christina Assi, eine Fotografin der Nachrichtenagentur AFP, war bei dem Angriff schwer verletzt worden. Ihr wurde später ein Bein amputiert. Zwei weitere Reuters-Journalisten, zwei Journalisten von Al-Dschasira und einer von AFP, wurden bei dem Angriff verletzt.

Der Sprecher der israelischen Streitkräfte (IDF), Nir Dinar, sagte zu dem UN-Bericht, dass die libanesische Hisbollah-Miliz die IDF am 13. Oktober in der Nähe des israelischen Kibbuz Hanita angegriffen habe. Die Streitkräfte hätten daraufhin mit Artillerie- und Panzerfeuer geantwortet, um die Bedrohung zu beseitigen. Anschließend habe man erfahren, dass Journalisten verletzt worden seien. "Die IDF bedauern jede Verletzung von Unbeteiligten und schießen nicht absichtlich auf Zivilisten, einschließlich Journalisten", sagte Dinar. Die IDF betrachteten die Pressefreiheit als äußerst wichtig. Der Vorfall solle weiter untersucht werden.

Reuters-Chefredakteurin Alessandra Galloni forderte Israel auf, zu erklären, wie es dazu kommen konnte, und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Der UNIFIL-Bericht wurde laut zwei Insidern am 28. Februar an die Vereinten Nationen in New York geschickt sowie den libanesischen und israelischen Streitkräften übermittelt. Der Bericht empfiehlt, dass die IDF den Vorfall untersuchen sollten, um eine Wiederholung zu vermeiden.

Für ihre Untersuchung schickte die UNIFIL am 14. Oktober ein Team an den Ort des Geschehens und erhielt auch Beiträge von den libanesischen Streitkräften und von einem ungenannten Zeugen, der zum Zeitpunkt der Angriffe anwesend war. Die Ergebnisse der UNIFIL stützen eine am 7. Dezember veröffentlichte Untersuchung von Reuters, wonach sieben Journalisten von Agence France-Presse, Al-Dschasira und Reuters von zwei 120-Millimeter-Geschossen getroffen wurden, die von einem knapp 1,5 Kilometer entfernten israelischen Panzer abgefeuert wurden. Auch ein unabhängiges Institut aus den Niederlanden hatte nach einer Untersuchung erklärt, es sei klar zu erkennen gewesen, dass es sich um Journalisten gehandelt habe.

Die Organisation "Reporter ohne Grenzen" (RSF) hatte bereits Ende Oktober unter Verweis auf eine eigene Analyse des Geschehens erklärt, man sei sich sicher, dass es unmöglich gewesen sei, die Journalisten mit Kämpfern zu verwechseln. Sie hätten sich mehr als eine Stunde lang im Freien auf einer Anhöhe befunden, seien gut sichtbar und als Presse-Vertreter erkennbar gewesen. Die RSF hatte ihrer Pressemitteilung einen Link zu einem Video beigefügt, in dem unter anderem die Gruppe vor dem Beschuss zu sehen ist und auch die beiden Einschläge.

Im Mai 2022 war bei einem israelischen Militäreinsatz im besetzten Westjordanland die Reporterin Schirin Abu Akleh des arabischen Nachrichtensenders Al-Dschasira getötet worden. Die 51-jährige Palästinenserin mit US-Staatsbürgerschaft hatte dem Sender zufolge eine Presseweste getragen, die sie eindeutig als Journalistin auswies. Israel hatte später unter Verweis auf eine eigene Untersuchung mitgeteilt, sie sei durch eine verirrte israelische Kugel getötet worden. Eine Untersuchung durch US-Ermittler des FBI hatte Israel abgelehnt. Israel werde nicht mit ausländischen Ermittlern zusammenarbeiten, hatte es geheißen.

(Bericht von David Gauthier-Villars, Laila Bassam und Tom Perry, geschrieben von Birgit Mittwollen und Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)