--Bruttoinlandsprodukt (BIP) sinkt kalenderbereinigt um 5,3 Prozent

--Volkswirte hatten Minus von 5,4 Prozent erwartet

--Destatis nimmt für 4. Quartal BIP-Stagnation an

--Staat weist Defizitquote von 4,8 Prozent des BIP auf

(NEU: Schätzung für viertes Quartal, Kommentare von Bankvolkswirten)

Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Die Corona-Pandemie und die gegen sie ergriffenen Eindämmungsmaßnahmen haben die Wirtschaftsleistung Deutschlands 2020 massiv sinken lassen, im vierten Quartal könnte aber ein BIP-Rückgang vermieden worden sein. Nach vorläufiger Mitteilung des Statistischen Bundesamts (Destatis) ging das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 5,0 Prozent zurück, nachdem es 2019 um 0,6 Prozent gestiegen war. Bereinigt um die Zahl der Arbeitstage betrug das Minus 5,3 (plus 0,6) Prozent. Die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte hatten leicht stärkere Rückgänge von 5,1 und 5,4 Prozent prognostiziert.

Die Schätzung für 2020 beruht auf der Annahme, dass die Wirtschaftsleistung im vierten Quartal auf dem Niveau des dritten Jahresviertels geblieben ist. Albert Braakmann, Leiter der Abteilung "Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, Preise", sagte in der Pressekonferenz zur Vorstellung des BIP, dieses habe im vierten Quartal "in etwa stagniert". Allerdings sei diese Schätzung mit besonders hohen Unsicherheiten behaftet, weil für Dezember noch keine Daten vorlägen. Die für November veröffentlichten Zahlen und experimentelle Daten deuteten aber darauf hin, dass die Unternehmen mit dem aktuellen Lockdown besser klar kämen als mit dem im Frühjahr 2020.


   Statistischer Überhang für 2021 auf 1-1/2 Prozent geschätzt 

Auf Basis einer BIP-Stagnation im vierten Quartal rechnet Destatis laut Braakmann mit einem Statistischen Überhang für 2021 von 1-1/2 Prozent. Dieser Wert gibt an, um wie viel das BIP im Jahresdurchschnitt steigen würde, wenn es bis Ende 2021 auf dem Niveau von 2020 verharren würde. Volkswirte nahmen die Zahlen positiv auf. "Gemessen an den zwischenzeitlichen Befürchtungen ist der Einbruch um 5 Prozent fast noch glimpflich zu nennen", schrieb Volkswirt Jens-Oliver Niklasch in einem Kommentar. Rechne man die bisherigen Ergebnisse hoch, dann dürfte das BIP im Schlussquartal in etwa stagniert haben, was angesichts des seit November in unterschiedlichen Abstufungen geltenden zweiten Lockdowns eine deutlich positive Überraschung sei.


   Commerzbank: Deutschland hatte im vierten Quartal Glück im Unglück 

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer sprach von "Glück im Unglück". "Zwar dürfte der Lockdown das Bruttoinlandsprodukt nach unseren Schätzungen für sich genommen um 2 Prozent gedrückt haben, vor allem weil viele Dienstleister wie Hotels, Restaurants, Kneipen, Theater und ab Mitte Dezember auch große Teile des Einzelhandels kaum noch Umsätze erzielen, aber offenbar wurde das durch die Stärke im verarbeitenden Gewerbe ausgeglichen", schrieb Krämer mit Blick auf das vierte Quartal.

Alexander Krüger, dem Chefvolkswirt des Bankhauses Lampe, widersprach allerdings der Interpretation, dass der Wirtschaftseinbruch 2020 schwächer als 2009 gewesen sein soll. "Diese Zahl darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Einbruch mit Blick auf das Niveau 2020 viel stärker war", sagte er. So sei das BIP zwischen dem zyklischen Hoch von 2008 und dem ersten Quartal 2009 nur um 7,0 Prozent gesunken, zwischen dem entsprechenden Hoch Ende 2019 und zweiten Quartal 2020 aber um 11,5 Prozent.

Die privaten Konsumausgaben sanken 2020 um 6,0 (plus 1,6) Prozent und der Staatskonsum stieg um 3,4 (plus 2,7) Prozent. Die Bauinvestitionen nahmen um 1,5 (plus 3,8) Prozent zu, dagegen sanken die Ausrüstungsinvestitionen um 12,5 (plus 0,5) Prozent. Die sonstigen Anlagen gingen um 1,1 (plus 2,7) Prozent zurück. Die Ausfuhren verringerten sich um 9,9 (plus 1,0) Prozent und die Einfuhren um 8,6 (plus 2,6) Prozent.

Negative Beiträge zur BIP-Veränderungsrate lieferten private Konsumausgaben (minus 3,2 Punkte), Ausrüstungsinvestitionen (minus 0,9 Punkte), sowie Vorratsveränderungen (minus 0,7 Punkte). Wachstumsneutral (0,0 Punkte) waren die sonstigen Anlagen. Positive Beiträge kamen vom Staatskonsum (plus 0,7 Punkte) und von den Bauinvestitionen (plus 0,2 Prozent).


   Wirtschaftsleistung des verarbeitenden Gewerbes sinkt um 10,4 Prozent 

Im produzierenden Gewerbe ohne Bau, das gut ein Viertel der Gesamtwirtschaft ausmacht, ging die reale Wirtschaftsleistung um 9,7 Prozent zurück, im verarbeitenden Gewerbe sogar um 10,4 Prozent. Besonders deutlich zeigte sich der konjunkturelle Einbruch in den Dienstleistungsbereichen, die zum Teil so starke Rückgänge wie noch nie verzeichneten. Exemplarisch hierfür steht der zusammengefasste Wirtschaftsbereich Handel, Verkehr und Gastgewerbe, dessen Wirtschaftsleistung preisbereinigt um 6,3 Prozent niedriger war als im Vorjahr.

Dabei gab es durchaus gegenläufige Entwicklungen: Der Online-Handel nahm deutlich zu, während der stationäre Handel zum Teil tief im Minus war. Die starken Einschränkungen in der Beherbergung und Gastronomie führten zu einem historischen Rückgang im Gastgewerbe. Ein Bereich, der sich in der Krise behaupten konnte, war das Baugewerbe: Die preisbereinigte Bruttowertschöpfung nahm sogar um 1,4 Prozent zu.

Die verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte erhöhten sich um 0,8 (plus 3,0) Prozent, während die Unternehmens- und Vermögenseinkommen um 7,5 (minus 2,7) Prozent zurückgingen.


   Staat mit Defizitquote von 4,8 Prozent des BIP 

Dass der BIP-Rückgang nicht ganz so stark wie 2009 (real minus 5,7 Prozent) ausfiel, hatte auch mit dem massiven Einsatz staatlicher Mittel zu tun. Deshalb war der Finanzierungssaldo des Staats mit minus 158,2 (plus 52,5) Milliarden Euro beziehungsweise minus 4,8 (plus 1,5) Prozent des nominalen BIP negativ.

Die BIP-Schätzung der Statistiker beinhaltet noch keine harten Konjunkturindikatoren für den Monat Dezember. Diese kommen erst ab Anfang Februar. Gleichwohl veröffentlicht Destatis bereits am 29. Januar eine erste Schätzung zur BIP-Entwicklung im vierten Quartal.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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January 14, 2021 06:04 ET (11:04 GMT)