Von Petra Sorge

BERLIN (Dow Jones)--Anlässlich der Bundestagsanhörung zum Lieferkettengesetz hat die Wirtschaft erneut weitgehende Nachbesserungen an dem Entwurf gefordert. Die Vorgaben seien "zu unbestimmt und nicht umsetzbar", kritisierte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) in einer schriftlichen Stellungnahme für den Ausschuss für Arbeit und Soziales, der ab 12.00 Uhr zahlreiche Experten anhört. Der Entwurf würde nicht nur wenige große, sondern tatsächlich alle deutsche Unternehmen betreffen und diese im internationalen Wettbewerb erheblich benachteiligen.

Auch sei das Inkrafttreten des Gesetzes bereits zum 1. Januar 2023 "viel zu knapp bemessen". Das von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vorgelegte Gesetz sieht vor, dass ab 2023 Konzerne mit mindestens 3.000 Beschäftigten und ab 2024 Betriebe mit mindestens 1.000 Mitarbeitern strengere Sorgfaltspflichten einhalten müssen. Verstöße sollen auch mit Geldbußen geahndet werden.


   "Geringschätzung des Unternehmertums" 

Aus Sicht des BDI steht der Gesetzentwurf hier auch verfassungsrechtlich auf wackligen Füßen: "Wenn selbst beim Verdacht schwerster Verbrechen ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss erforderlich ist für das Betreten von Büroräumen, dann muss dies erst recht für den relativ harmlosen Verstoß gegen Informationspflichten gelten", so BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang. "Die Geringschätzung des Unternehmertums, die im Entwurf zum Ausdruck kommt, ist schwer erträglich." Stattdessen empfahl der Industrieverband, sich auf die von der EU ebenfalls geplante Regelung zu konzentrieren.

Der Arbeitgeberverband BDA bezeichnete den Entwurf zwar als "gewiss gut gemeint". In seiner jetzigen Form drohe er jedoch seine angestrebten Ziele nicht nur zu verfehlen, sondern gerade denjenigen Beschäftigten zu schaden, zu deren Schutz die neuen Vorgaben dienen sollten. Auch dürfe der Mittelstand nicht belastet werden.

Aus Sicht des Deutschen Raiffeisenverbands (DRV) müsse wenigstens sichergestellt werden, dass bereits vorhandene Standards mit verschiedener Qualitäts- und Zertifizierungssysteme anerkannt würden. Auch dürften ausländische Unternehmen, die in Deutschland nur eine unselbständige Niederlassung haben und damit von den Regelungen ausgenommen seien, keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber der deutschen Wirtschaft haben.


   Gewerkschaften und Menschenrechtler fordern zivilrechtliche Haftung 

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) forderte, den Anwendungsbereich des Gesetzentwurfes auf alle Unternehmen, die in Deutschland Geschäfte tätigen, auszuweiten. Auch fehle "eine klare zivilrechtliche Haftungsregelung". Dies moniert auch die Initiative Lieferkettengesetz und ergänzt, dass die Sorgfaltspflichten im Gesetzentwurf nur für den eigenen Geschäftsbereich und unmittelbare Zulieferer gelten. Stattdessen müssten auch mittelbare Zulieferer in den Blick genommen werden. Außerdem fordern die Aktivisten in ihrer Stellungnahme eine umweltbezogene Generalklausel, mit der auch Umweltzerstörungen und Klimaschäden berücksichtigt werden könnten.

Das Institut für Wirtschaftsforschung Kiel (IfW) weist darauf hin, dass die Vernetzung von Firmen aus dem globalen Süden mit Unternehmen aus dem industrialisierten Norden grundsätzlich positive Effekte auf das reale Pro-Kopf-Einkommen habe. Mit Lieferkettengesetze könnte jedoch die Gefahr steigen, dass weniger Unternehmen aus ärmeren Ländern an deutscher oder europäischer Produktion beteiligt werden.

"Daher ist höchst unklar, ob Lieferkettengesetze die erhofften positiven entwicklungspolitischen Effekte entfalten können, oder ob nicht eher das Gegenteil wahrscheinlich ist", so das IfW. Stattdessen schlagen die Wissenschaftler einen Ansatz über Negativlisten vor, "der die importierenden und exportierenden Unternehmen nicht pauschal mit Zusatzkosten und erheblicher Unsicherheit belastet".


   Gutachten: Deutschen Unternehmen könnten in Uiguren-Region Sanktionen drohen 

Das Lieferkettengesetz könnte laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages auch direkte Auswirkungen auf deutsche Unternehmen in der Region Xinjiang im Nordwesten Chinas haben. "Mit Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes erscheint - unter Anwendung der gesetzlich verankerten Kriterien - eine Pflicht deutscher Unternehmen zum Abbruch der Geschäftsbeziehungen zu ihren chinesischen Zulieferern fast unausweichlich", heißt es in dem Papier.

Andernfalls könnten Sanktionen drohen: So könne sich eine individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmensmitarbeitern dann ergeben, "wenn die Unternehmen durch Aufrechterhaltung von profitablen Geschäftsbeziehungen mit inkriminierten örtlichen Zulieferbetrieben Menschenrechtsverbrechen vor Ort (zum Beispiel Zwangsarbeit) wissentlich unterstützen". Über das Papier, das die Grünen-Fraktion in Auftrag gegeben, hatte zuerst die Süddeutsche Zeitung berichtet.

Das Gutachten verweist auch auf eine Studie des Thinktanks Australian Strategic Policy Institute, wonach etwa die Konzerne Adidas, Puma, BMW, Bosch, Siemens und Volkswagen "Nutznießer der Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren durch die chinesische Regierung" seien. Auch der Chemiekonzern BASF stehe wegen seine Geschäfte in Xinjiang in der Kritik. Die beschuldigten Unternehmen hätten auf solche Vorwürfe in der Vergangenheit "mit diversen Stellungnahmen, Dementi oder Zugeständnissen" reagiert.

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May 17, 2021 05:44 ET (09:44 GMT)