FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Fondsmanager Christoph Frank rechnet vor, dass die Börsenregel "Wie die erste Woche, so das Jahr" zumindest historisch funktioniert hat, und nennt einige Gründe, warum.

11. Januar 2021. FRANKFURT (pfp Advisory). Die erste Handelswoche 2021 dürfte für viele Aktionäre erfolgreich verlaufen sein. Immerhin erreichte der deutsche Aktienindex DAX ein schönes Wochenplus von mehr als 2 Prozent nebst neuem Allzeithoch.

Ich halte zwar grundsätzlich wenig davon, sich allzu lange mit Aktienrenditen auf Wochensicht zu beschäftigen, weil mein Anlagehorizont eher Jahre und Jahrzehnte umfasst. Es gibt jedoch ein paar Ausnahmen, und eine davon ist eine "Handelsregel", die in Expertenkreisen unter verschiedenen Namen kursiert. Ich nenne sie seit jeher die "Jahresstart-Regel", aber vermutlich gibt es bessere Bezeichnungen.

Was besagt sie? "Wie die erste Woche, so das Jahr!" Oder ausführlicher und präziser: Wenn die ersten fünf Handelstage eines Jahres eine positive Rendite einbringen, wird auch das Gesamtjahr im positiven Bereich enden. Verlaufen die ersten fünf Börsentage dagegen negativ, wird auch an Silvester ein Minuszeichen stehen. Über das Ausmaß der Kursbewegungen macht die Regel keine Aussage. Definiert wird einzig und allein die Richtung.

Sie können es sich denken: Wenn diese Regel nicht funktionieren würde, würde ich sie hier nicht thematisieren. Tatsächlich hat sie im letzten Vierteljahrhundert die Richtung des DAX zu 80 Prozent korrekt vorhergesagt. Das ist eine satte Trefferquote. Wer selbst schon einmal Handelsregeln und Modelle konstruiert hat, weiß, wie froh man sein kann, Kombinationen aus Robustheit und Trefferquoten jenseits der 50 Prozent zu finden. Wenn ich mit längeren Zeitreihen arbeite und z. B. Daten des bis 1960 zurückgerechneten DAX verwende, ist die Trefferquote in diesem 60-Jahres-Zeitraum übrigens nur unwesentlich niedriger. Und es ist auch kein allein deutsches Phänomen.

Warum funktioniert diese Regel? (Oder exakter formuliert: Warum funktionierte diese Regel in der Vergangenheit und könnte daher gute Chancen haben, auch in Zukunft zu reüssieren?) Darüber kann ich nur spekulieren, restlos überzeugende Erklärungen habe ich bis heute nicht gefunden. Es kann auch nur ein statistisches Artefakt sein.

Könnte eine Begründung sein, dass Anleger überproportional häufig zu Silvester einen Schlussstrich ziehen, um anschließend befreit von Altlasten im neuen Jahr durchstarten zu können? Und dann eben in den ersten Handelstagen eines neuen Jahres im Einklang mit ihren mittel- und langfristigen Plänen anlegen, nachdem ihr Anlageverhalten in den Wochen zuvor tendenziell häufiger von kurzfristigen Überlegungen verzerrt war, nämlich noch schnell steuerliche Verlustverrechnungsmöglichkeiten vor Fristende zu nutzen, das Depot auszumisten und den einen oder anderen Fehler rechtzeitig vor dem Jahreswechsel zu korrigieren?

"Window-Dressing" zum neuen Jahr?

Eine Variante der Handelsregel bezieht sich nicht nur auf die ersten fünf Handelstage, sondern auf den kompletten Januar, aus dem dann wiederum die Kursrichtung für das Gesamtjahr abgeleitet wird. Zu dieser Spielart existieren auch in akademischen Kreisen einige Studien und Erklärungsversuche. Eine viel beachtete Theorie des US-Ökonomen Donald B. Keim aus den achtziger Jahren fußt auf der Beobachtung, dass im Januar vor allem Aktien von Unternehmen mit niedrigem Börsenwert, die im Vorjahr stark gefallen waren, zu Silvester abrupt die Richtung wechseln und ab dann häufig wieder deutliche Kursgewinne einfahren konnten. Als Grund wurde vermutet, dass Fondsmanager zum Jahresende ihre Portfolien um kleinere und schlechter gelaufene Titel bereinigen und somit ihr Portfolio für die Schlussabrechnung "aufhübschen". Wegen der geringeren Handelsvolumina dieser Titel würden sich diese Ausputz- und Wiederanschaffungsaktivitäten im Kurs auffällig bemerkbar machen, ebenso beim anschließenden Rückkauf im Januar.

Dieser Effekt, der bei kleinkapitalisierten Titeln für frühere Jahre gut dokumentiert ist, könnte u. a. durch die größere Intransparenz bezüglich der Jahresergebnisse kleinerer Firmen und die daraus resultierende größere Verkaufs- und Rückkaufbereitschaft der Aktionäre bedingt sein, in Deutschland phasenweise auch durch Vermögenssteuerzahlungen. Er wird in Anlegerkreisen gelegentlich zu einem generellen "Window-Dressing"-Phänomen verallgemeinert, das wiederum umstritten ist.

Wie auch immer Sie jetzt über die Januarregeln in ihren diversen Varianten denken mögen: Fakt ist, dass die "Jahresstart-Regel" beim DAX in der Vergangenheit gut funktioniert hat. Wenn Sie diesen statistischen Befund also für kein Zufallsprodukt halten und dem Indikator künftig eine unveränderte Treffsicherheit unterstellen, sollte Ihnen angesichts des erfreulichen Jahresstarts vor 2021 nicht bange sein.

von Christoph Frank,

11. Januar 2021, © pfp Adivisory

Über den Autor

Christoph Frank ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Roger Peeters steuert der seit über 20 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds. Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Frank schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)