Von Hans Bentzien und Andreas Plecko

FRANKFURT (Dow Jones)--Der unerwartet deutliche Rückgang der Inflation im Euroraum dürfte den bisherigen Fahrplan der Europäischen Zentralbank (EZB) für den weiteren geldpolitischen Kurs etwas durcheinander gebracht haben. Erschienen bisher für längere Zeit erhöhte Zinsen im EZB-Rat als mehrheitsfähiges Mittel, um die "letzte Meile" auf den Weg zu 2 Prozent Inflation zu schaffen, so dürfte es nach den jüngsten Entwicklungen darüber heftigen Streit geben. Der EZB-Rat informiert am Donnerstag (14.15 Uhr) über den Leitzins sowie die Guidance für Zinsen und Anleihebestände, und um 14.45 Uhr stellt sich Präsidentin Christine Lagarde den Fragen der Journalisten.

Die Woche bringt außerdem Zinsentscheidungen der US-Notenbank, der Schweizerischen Nationalbank (SNB) und der Bank of England (BoE) sowie eine Reihe wichtiger US-Konjunkturdaten.

Die Inflation im Euroraum ist im November von 2,9 auf 2,4 Prozent gefallen und die Kerninflation von 4,2 auf 3,6 Prozent - zum wiederholten Mal deutlicher als erwartet, wobei die Überraschung dieses Mal noch stärker war als zuvor. EZB-Direktorin Isabel Schnabel sprach von einer angenehmen Überraschung und sagte, dass Zinserhöhungen nun eher unwahrscheinlich seien. An den Finanzmärkten, wo die Zukunft schon heute gehandelt wird, werden inzwischen für 2024 Zinssenkungen von 100 Basispunkten eingepreist. Man darf gespannt sein, wie der Rat und Präsidentin Lagarde darauf reagieren.

Das Niveau der Leitzinsen dürfte bestätigt werden, aber welche neue Guidance wird die Zentralbank ausgeben? Von Interesse werden in diesem Zusammenhang die neuen Wachstums- und Inflationsprognosen der Euroraum-Zentralbanken und der EZB sein. Ein heißer Diskussionspunkt könnte auch die Frage werden, ob die EZB früher als bisher geplant (Ende 2024) mit dem Abbau ihrer PEPP-Anleihebestände beginnen soll.


   US-Notenbank noch nicht bereit zur Kursänderung 

Vor der EZB-Sitzung tagt die Federal Reserve, ihre Zinsentscheidung am Mittwoch (20.00 Uhr) bekannt machen wird. Die US-Notenbanker sind zunehmend zuversichtlich, dass sie die Zinsen nicht weiter erhöhen müssen, um die Inflation zu bekämpfen. Aber das reicht wohl noch nicht, um ein Ende der Zinserhöhungen zu verkünden - geschweige denn, um eine Diskussion über Zinssenkungen zu beginnen. Die Fed dürfte ihre Zinsen unverändert lassen und gleichzeitig bestätigen, dass die nächste Zinsänderung eher eine Erhöhung als eine Senkung sein dürfte.

Würde die Fed den Leitzins zum dritten Mal in Folge unverändert lassen, so bliebe er es bis mindestens Januar. Mehrere Monate mit gedämpften Inflationswerten haben die Anleger zu Spekulationen veranlasst, dass die Fed die Zinsen im Mai oder sogar früher senken wird. Aber die Notenbanker sind wohl nicht bereit, solche Überlegungen anzustellen. Erst wollen sie mehr Beweise dafür sehen, dass die Inflation gedämpft bleibt oder dass sich die Wirtschaft und die Neueinstellungen stärker verlangsamen als sie es bisher erwarten.


   SNB lässt Zinsen unverändert - welche Guidance? 

Der geldpolitische Rat der Schweizerischen Nationalbank (SNB) dürfte seine Zinsen bei der nächsten Sitzung unverändert lassen. Analysten erwarten, dass der Leitzins bei 1,75 Prozent bleiben wird, was angesichts einer Inflationsrate von zuletzt 1,4 Prozent ausreichend restriktiv sein dürfte. Fraglich ist gleichwohl, ob die SNB ihre Aussage aus dem geldpolitischen Statement entfernen wird, dass sie notfalls zu weiteren Zinserhöhungen bereit wäre. Grund ist, dass für 2024 mit einem Anstieg der Mieten um etwa 3 Prozent gerechnet wird.

Allerdings steht der SNB nicht nur das Zinsinstrument zur Verfügung. Sie interveniert auch fortlaufend am Devisenmarkt, wo sie seit einiger Zeit massiv Fremdwährung verkauft. Das stärkt den Franken und schützt vor Inflationsimport. Seit der Sitzung am 21. September hat der Franken gegenüber dem Euro um 2 Prozent aufgewertet. Die geldpolitischen Entscheidungen werden am Donnerstag (9.30 Uhr) bekannt gegeben.


   Bank of England hält Leitzins stabil 

Dreieinhalb Stunden später (13.00 Uhr) folgt die Bank of England (BoE). Diese dürfte ihre Zinsen ebenfalls unverändert lassen und ihre Botschaft bekräftigen, dass die Zinsen wahrscheinlich für längere Zeit erhöht bleiben müssen und dass Spekulationen über Zinssenkungen verfrüht erscheinen. Die Ökonomen von HSBC Global Research gehen davon aus, dass sowohl der Leitzins von 5,25 Prozent als auch das Abstimmungsverhältnis von sechs zu drei Stimmen bei der anstehenden Sitzung unverändert bleiben. Die drei abweichenden Ratsmitglieder hatten sich für eine Zinserhöhung ausgesprochen.

Für die Ratsmehrheit gehe es nicht so sehr darum, die Zinsen zu erhöhen, sondern sie länger hoch zu halten, sagen die Ökonomen. Wie andere westliche Zentralbanken hat auch die BoE ihren bisherigen Zinserhöhungszyklus angesichts der sich abkühlenden Inflation unterbrochen und den Leitzins bei den letzten beiden Sitzungen bei 5,25 Prozent belassen. Im September war die Inflation insgesamt stabil geblieben, wobei Dienstleistungspreise stärker anzogen. Ökonomen erwarten, dass die Rate in den nächsten Monaten wieder sinken wird. Tatsächlich könnte sich aber das Lohnwachstum so langsam abschwächen, dass die BoE erst Ende nächsten Jahres Zinssenkungen ins Auge fassen kann.


   US-Inflation und Kerninflation bleiben unverändert 

Der Inflationsdruck in den USA dürfte sich im November nicht geändert haben. Volkswirte erwarten, dass die Verbraucherpreise wie im Oktober mit einer Jahresrate von 3,2 Prozent gestiegen sind und die Kernverbraucherpreise unverändert um 4,0 Prozent. Das Arbeitsministerium veröffentlicht die Daten am Dienstag (14.30 Uhr). Am Mittwoch (14.30 Uhr) kommen die Erzeugerpreise, am Donnerstag (14.30 Uhr) die Einzelhandelsumsätze und am Freitag (15.15 Uhr) Industrieproduktion nebst Kapazitätsauslastung.

Wichtigste europäische Konjunkturdaten sind die ZEW-Konjunkturerwartungen für Deutschland (Dienstag, 11 Uhr) und die Einkaufsmanagerindizes für Deutschland (Freitag, 9.30 Uhr) und den Euroraum (Freitag, 10.00 Uhr).

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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December 08, 2023 07:00 ET (12:00 GMT)