Von Andreas Kißler

BERLIN (Dow Jones)--Es ist das Schicksal von Budgetentwürfen in Wahljahren, dass sie in der geplanten Form später selten Realität werden. Jedenfalls nicht, wenn nach der Wahl ein Wechsel des Finanzministers der gar der gesamten Regierungskoalition ansteht. Beides dürfte in diesem Jahr unvermeidlich sein. So nutzte Noch-Finanzminister Olaf Scholz die Gelegenheit der Vorstellung seines nach aller Voraussicht letzten Budgetentwurfes vor allem, um sich selbst für eine "goldrichtige" Finanzpolitik in der Corona-Krise zu loben.

Doch mit dem Kabinettsbeschluss zum Budgetentwurf für 2022 mit einer Neuverschuldung von 99,7 Milliarden Euro liefert Scholz nur die Vorlage für die nächste Bundesregierung - geht es nach dem SPD-Kanzlerkandidaten Scholz, also im besten Fall für sich selbst. Für alle anderen Fälle dürfte es deutliche Korrekturen an Scholz' letztem Etatwerk geben, das vom neuen Bundestag wohl frühestens zum Jahresende beschlossen wird. Dauern die Koalitionsverhandlungen so lange wie nach der letzten Wahl, müssten die Planungen auch erst einmal als Grundlage für einen Nothaushalt dienen.

Dabei bleibt im Zahlenwerk des Finanzministers allerdings noch vieles offen. Scholz selbst sieht das naturgemäß anders, feiert es als großen Erfolg, dass das mittelfristig noch bestehende Finanzierungsloch nun nur noch mit 6,2 Milliarden Euro veranschlagt wird. Doch einerseits verschweigt er geflissentlich, dass das nur möglich ist, weil zum Stopfen der eigentlich viel größeren Budgetlöcher die ursprünglich für Flüchtlingskosten angelegte Rücklage von fast 50 Milliarden Euro aufgezehrt wird, die trotz Rekordschulden noch im Budget lagert. Künftige Mittel wurden also praktisch durch die hohe Schuldenaufnahme vorfinanziert.

Andererseits ist auch noch überhaupt nicht gesagt, dass es bei dieser Summe wirklich bleibt. Aus der Wissenschaft hört man dazu jedenfalls schon skeptische Töne. Scholz plane fast 100 Milliarden Euro neue Schulden ein, um coronageschädigten Unternehmen zu helfen, Impfstoffe zu beschaffen und geringere Steuereinnahmen auszugleichen, rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft vor. "Das sind längst nicht die einzigen großen Ausgaben, die in den kommenden Jahren nötig werden", konstatiert dessen Direktor Michael Hüther. Er will eine Öffnung der Schuldenbremse.

Diesen Weg aber dürfte Scholz ebensowenig mitgehen wie Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet. Im soeben vorgestellten Unions-Wahlprogramm wird ganz im Gegenteil eine Rückkehr zur schwarzen Null im Haushalt in Aussicht gestellt - also einer Rückkehr zu einem ausgeglichenen Budget. Der CDU-Vorsitzende hat aber die Frage, wie die von der Union versprochenen Investitionen und Steuersenkungen für Unternehmen finanziert werden sollen, einfach offengelassen. Wird er Kanzler, muss er sie bis zur Aktualisierung des Budgets geklärt haben, um dessen Leerstellen zu schließen.

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June 23, 2021 10:06 ET (14:06 GMT)