Von Hans Bentzien

FRANKFURT (Dow Jones)--Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte bei seinen Beratungen in dieser Woche keine Änderung seiner Geldpolitik beschließen. Volkswirte erwarten überwiegend, dass der Rat sowohl seine im Dezember getroffenen Beschlüssen zur Gestaltung der Wertpapierkaufprogramme PEPP und APP als auch den Zinsausblick bestätigen wird. Beschlüsse im Hinblick auf die Liquiditätsausstattung der Banken (TLTRO) bzw. die Freistellung vom Einlagenzins der EZB werden ebenfalls nicht erwartet. Angesichts einer hohen Unsicherheit über den Ausblick wird die EZB mindestens bis März abwarten, ehe sie zukunftsweisende Beschlüsse trifft.

Die EZB veröffentlicht die geldpolitischen Beschlüsse des Rats am Donnerstag um 13.45 Uhr, die Pressekonferenz mit EZB-Präsidentin Christine Lagarde beginnt gegen 14.30 Uhr. Alle 47 von Dow Jones Newswires befragte Volkswirte erwarten, dass die EZB den Hauptrefinanzierungssatz bei 0,00 Prozent belassen wird und den Einlagensatz bei minus 0,50 Prozent. Gleichwohl dürfte es intensive Diskussionen über den Inflationsausblick geben, die möglicherweise ihren Weg in das geldpolitische Statement finden.


   Inflation könnte im Januar erneut höher als erwartet gewesen sein 

Die Verbraucherpreise im Euroraum sind im Dezember mit einer Jahresrate von 5,0 Prozent gestiegen. Für Januar (Veröffentlichung Mittwoch, 11.00 Uhr) wird mit einem Rückgang der Teuerung auf 4,3 Prozent gerechnet. Aber Preisdaten aus Deutschland und Spanien deuten darauf hin, dass die Inflation höher geblieben ist. Wichtig aus Sicht der Zentralbank ist, dass sich diese hohe Teuerung nicht verfestigt. Lagarde dürfte in ihrer Pressekonferenz darauf verweisen, dass die Inflation laut den im Dezember veröffentlichten Stabsprojektionen 2023 und 2024 bei 1,8 Prozent liegen dürfte.

Man darf gespannt sein, wie ihre aktuelle Einschätzung der Preisentwicklungen 2022 ist. Bisher hatte es geheißen, dass die Inflation bis Ende des Jahres auf unter 2 Prozent zurückgehen dürfte. Analysten erwarten, dass die EZB erst dann ernsthaft ihren geldpolitischen Kurs diskutieren wird, wenn ihr neue Projektionen vorliegen - also im März.


   Analysten erwarten für 2023 deutlichen Inflationsrückgang 

Dem EZB-Rat liegen zu seinen Beratungen aber die aktuellen Makro-Prognosen der Professional Forecasters vor, deren hohe Qualität EZB-Offizielle zuletzt gerne gelobt haben. Veröffentlicht werden diese Zahlen erst am Freitagmorgen. Die von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte haben unterdessen ihre Inflationsprognose für 2022 deutlich angehoben, erwarten aber für 2023 einen deutlichen Rückgang. Für 2022 rechnen sie jetzt mit einem Anstieg der Verbraucherpreise um 3,2 (Dezember: 2,4) Prozent, aber für 2023 nur noch mit 1,6 Prozent Teuerung.

Zudem erwarten sie 3,9 (4,0) Prozent Wachstum für 2022 und 2,5 Prozent für 2023. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen sehen sie in drei, sechs und zwölf Monaten bei 0,00 (minus 0,10), 0,10 (0,00) und 0,20 (0,10) Prozent und den Euro-Kurs bei 1,12 (1,14), 1,12 (1,14) und 1,14 (1,15) US-Dollar. Alle 31 von Dow Jones Newswires befragten Volkswirte mit entsprechendem Prognosehorizont rechnen damit, dass die Leitzinsen bis zum Ende des dritten Quartals unverändert bleiben werden.

Am Geldmarkt wird allerdings für Ende 2022 eine Anhebung des Einlagenzinses (minus 0,50 Prozent) eingepreist - seit der jüngsten FOMC-Sitzung mehr als zuvor. Für die EZB ist das ein konstantes Ärgernis, weil das bedeutet, dass die Märkte ihrer Forward Guidance nicht glauben. Volkswirte rechnen damit, dass Lagarde auf der einen Seite diesen Erwartungen erneut widersprechen wird. Andererseits dürfte sie aber betonen, dass sie die Auswirkungen der hohen Inflation für die Verbraucher sehr ernst nehme.


   Lagarde dürfte Fragen nach "Sequencing" erhalten 

Ein wenig scheint bei einigen Beobachtern sogar die Angst umzugehen, dass die EZB-Chefin ein wenig zu "hawkish" daherkommen und damit Marktturbulenzen auslösen könnte. Zu den für die Pressekonferenz zu erwartenden Fragen gehören neben denen nach dem Inflationsausblick auch solche nach einer möglichen Änderung des "Sequencing": Bleibt die EZB dabei, dass sie im Falle einer geldpolitischen Normalisierung erst die Bilanzvergrößerung stoppt und danach die Zinsen anhebt? Muss nicht bald die Forward Guidance gestrichen werden, dass die EZB ihre Zinsen notfalls weiter senken würde?

Alles in allem dürften geldpolitische Erklärung und Lagarde-Pressekonferenz die Botschaft transportieren, dass dies pandemiebedingt unsichere Zeiten sind, in denen sich die EZB, wie von ihrem Chefvolkswirt Philip Lane kürzlich dargelegt, auf verschiedene Szenarien einstellt. Anhaltend erhöhte Inflationsraten und Zweitrundeneffekte vom Arbeitsmarkt gehören ebenso dazu wie neue Virusvarianten und abermalige Lockdowns.

Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

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(END) Dow Jones Newswires

January 31, 2022 11:18 ET (16:18 GMT)